Man hat für diesen neuen Krieg in Gaza den Namen "Operation Wolkensäule" gewählt. Passender wäre wohl "Operation Gedächtnisschwund" gewesen. Premier Netanjahu rechnet mit dem kurzen Gedächtnis der Bevölkerung. Er zählt darauf, dass die Menschen vergessen haben, dass Dutzende, wenn nicht hunderte "Liquidationen" ausgeführt wurden, ohne dass damit auch nur ein Problem gelöst worden wäre - weil es immer wieder jemanden gab, der den Platz des Getöteten einnahm und dann in der Regel noch radikaler war als sein Vorgänger. Netanjahu rechnet damit, dass die Menschen sich nicht mehr daran erinnern, dass Israel vor vier Jahren Krieg gegen Gaza führte, dem binnen drei Wochen 1300 Zivilisten zum Opfer fielen - ohne dass sich dadurch irgendetwas zum Besseren gewendet hätte..

Benjamin Netanyahu und Ehud Barak haben zum zweiten Mal in Folge entschieden, dass der israelische Staat Wahlen im Schatten des Krieges im Gaza-Streifen abhalten wird. Der Waffenstillstand, der schon dabei war, sich zu festigen, wurde gebrochen und in Stücke geschlagen. Die Einwohner der Städte im Süden, die sich fast schon daran gewöhnt hatten, freier atmen zu können, werden wieder in ihre Schutzbunker zurückgetrieben.

Um den Preis großes Leids auf beiden Seiten der Grenze verfolgt die Regierung ihr politisches Kalkül: Die sozialen Probleme, die bedrohlich hohen Stellenwert bei den kommenden Wahlen bekommen hätten, wurden beiseitegeschoben und von der Wahlkampfagenda gestrichen.

In den kommenden Wochen werden die Schlagzeilen voll mit Krieg, Tod, Zerstörung und Blutvergießen sein. Und am Ende, wenn alles vorbei ist, wird sich herausstellen, dass kein Ziel erreicht wurde und die Probleme unverändert geblieben, wenn nicht sogar immer schlimmer geworden sind. (DER STANDARD, 16.11.2012)