Wien - Julius Meinl bekommt seine Rekord-Kaution von 100 Millionen Euro, die ihm im April 2009 nach zwei Nächten U-Haft die Freiheit gebracht hatten, weiter nicht zurück, entschied das Wiener Straflandesgericht. Der entsprechende, am Mittwoch zugestellte Beschluss umfasst 852 Seiten, inklusive Beilagen sind es sogar 1.453 Seiten. Die Meinl-Anwälte lassen an dem Konvolut kein gutes Haar. Die Richterin habe damit lediglich versucht, "in die chaotische Aktenführung Ordnung hineinzubringen", die Vorwürfe gegen Meinl seien "überhaupt nicht neu", konstatierte Meinls Verteidiger Herbert Eichenseder am Donnerstag bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz in der Meinl Bank.

Richterin Bettina Deutenhauser geht davon aus, dass bei Julius Meinl, gegen den seit Jahren wegen Betrugs und Untreue in der Causa Meinl European Land (MEL) ermittelt wird, nach wie vor Fluchtgefahr besteht. Daher hat sie den - mittlerweile zweiten -, vor 14 Monaten eingebrachten Antrag auf Rückerstattung der Kaution abgewiesen. Meinl hat jetzt drei Tage Zeit, dagegen zu berufen, bis Montag müssen seine Anwälte den Einspruch beim Oberlandesgericht (OLG) Wien abgeben.

Inhaltlich sind die Meinl-Anwälte Eichenseder und Georg Schima "enttäuscht" von dem Beschluss. Was am Anfang ob seines Umfangs "bedrohlich" ausgesehen habe, habe sich als alter Hut erwiesen, so Eichenseder. Schima sprach von einem "schlecht gemachten Anwaltsschriftsatz", denn Deutenhauser versuche, den - notwendigen - dringenden Tatverdacht durch selektives Argumentieren bzw. Zitieren diverser Gutachten zu untermauern.

Dokumente

Umgekehrt, so Schima, würden Dokumente, die dem Gericht "nicht in den Kram passen", abgetan. Zum Beispiel ein Entscheid der Übernahmekommission, wonach die Meinl Bank die MEL faktisch nicht beherrscht habe. Dies stehe der Annahme, dass es zwischen Julius Meinl und den anderen MEL-Beschuldigten zu einem Informationsaustausch gekommen sein solle "und auf diese Art auch allfällige Wünsche und 'Anliegen' des Beschuldigten Meinl transportiert worden sein sollen, nicht entgegen", schreibt Deutenhauser auf Seite 457.

Auch zum zentralen Vorwurf rund um den Rückkauf der MEL-Zertifikate und seine Folgen für den Kurs und die Anleger gebe der Beschluss inhaltlich nichts Neues her. "Schon der Vorwurf, dass der Rückkauf leicht über dem NAV (Net Asset Value) zum Börsekurs erfolgt sei, ist schwer absurd", denn Börsekurs sei Börsekurs, so Schima. "Nun sagt das Gericht: Ich weiß gar nicht, wie hoch der NAV war. Das sei zu prüfen", echauffierte sich der Anwalt.

Überhaupt stelle die Richterin mehrfach fest, dass einzelne Fragen, etwa, ob die von der Meinl Bank verrechneten Gebühren überhöht waren, erst geklärt werden müssten. "Immer wird eingeräumt, wir brauchen ein Gutachten", so Eichenseder. "Der Tatverdacht konnte noch immer nicht festgestellt werden", nach fünf Jahren Ermittlungen.

Mit dem Thema Fluchtgefahr habe sich die Richterin "nur" auf 30 Seiten befasst und lediglich altbekannte Argumente herangezogen, um diese zu rechtfertigen, bedauert der Advokat. Laut Gerichtsbeschluss sind die Tatsache, dass Meinl britischer Staatsbürger ist und "gute Kontakte" nach Großbritannien habe, ein "wesentliches Kriterium".

Hinzu komme, dass er im April 2009 imstande war, "binnen kürzester Zeit" 100 Millionen aufzutreiben - Erleger der Kaution war laut Meinl-Bank-Vorstand Peter Weinzierl eine Bank in Liechtenstein, wer ad personam dahintersteht, ist bis heute nicht bekannt. "Aufgrund dieser finanziellen Möglichkeiten wäre es für den Beschuldigten sehr leicht, sich dem Strafverfahren durch Flucht zu entziehen und sich ins Ausland abzusetzen, da der Beschuldigte z. B auch Zugang zu einem Privatflugzeug besitzen soll, und es ihm aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden, umfangreichen finanziellen Mittel möglich wäre, an jedem Ort der Welt Wohnsitz zu nehmen und dort unbehelligt leben zu können", so die Richterin. "Dieses depperte Flugzeug", schäumt Eichenseder. "Das war hin und in England bei der Reparatur."

Höhe der Kaution

Wo es für Anwalt Schima "gespenstisch" wird, ist bei der Höhe der Kaution. Um diese zu rechtfertigen, würden nämlich die Privatbeteiligtenanschlüsse im Meinl-Verfahren ins Treffen geführt. Wobei die "relevanten" Anschlüsse mit knapp 87 Mio. Euro beziffert werden, jene ohne Kaufdatum mit knapp 34 Mio. Euro und Anschlüsse von Anlegern, bei denen sowohl Summe als auch Kaufdatum unbekannt sind, mit knapp 28 Mio. Euro. Laut Schima ist das unzulässig. Ebenso, dass die Richterin die Vergleiche der Meinl Bank mit fast 6.000 MEL-Kleinanlegern "vom Tisch wischt" und nicht berücksichtige, dass Julius Meinl in den vergangenen vier Jahren nicht geflüchtet sei und die Meinl Bank nach wie vor existiere.

Übers Wochenende müssen die Meinl-Anwälte jetzt ihren Einspruch verfassen. Dass sie dafür nur drei Werktage Zeit haben, stößt ihnen sauer auf, die wollen deshalb beim Oberlandesgericht "anregen", den Gesetzespassus über die Einspruchsfrist dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) vorzulegen.

Generell hielten sich die Meinl-Anwälte aber in letzter Zeit mit Einwänden zurück, so Weinzierl "zum Vorwurf, wir bombardieren die Gerichte mit Eingaben". Der Grund ist wohl mangelnder Erfolg: "Zum Teil liegt das zwei Jahre", monierte der Banker, der zu Beginn der Pressekonferenz übrigens gelobte, heute ausnahmsweise kein "Justizbashing" betreiben zu wollen. Bei der von der Meinl Bank eingebrachten Amtsmissbrauchsanzeige gegen den ermittelnden Staatsanwalt sei seit über einem Jahr "nichts weitergegangen". "Dort, wo man nicht ermitteln will, wird nicht ermittelt", meint Weinzierl. Auch die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen der angeblich unfairen Behandlung Meinls durch die österreichische Justiz "dauert".

Die Meinl Bank hat bisher für die Rechsstreitigkeiten mehr als 60 Millionen Euro ausgegeben, davon etwas weniger als die Hälfte für Anlegervergleiche. Hinzu kämen die Kosten für den Steuerzahler - die Gutachterkosten würden auf 1,5 Mio. Euro geschätzt - sowie das, was Rechtsschutzversicherungen ("sicherlich einen zweistelligen Millionenbetrag") und die MEL-Nachfolgegesellschaft Atrium ("rund 20 Mio. Euro") für Klagen ausgegeben hätten, so Weinzierl. "Was das zur Umverteilung von Banken zu Anwälten beigetragen hat, ist beachtlich", so der Banker, selbst Beschuldigter im Verfahren, selbstkritisch.

Was Julius Meinl wegen der Rekord-Kaution entgangen ist, wollte Weinzierl nicht schätzen. "Ich muss mich Gott sei Dank nicht mit Alternativveranlagungen der Kaution beschäftigen", meinte er. Die 100 Millionen liegen auf einem Gerichtskonto bei der BAWAG P.S.K. und sind laut den Rechtsvertretern mit 1,75 Prozent verzinst. Weinzierl denkt, dass zwischenzeitlich rund 6 Mio. Euro an Zinsen angefallen sind, Geld, das letztendlich die Liechtensteiner Bank bekommen wird, möglicherweise sogar KESt-frei. (APA, 15.11.2012)