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Begräbniszug für den am Mittwoch getöteten Militärchef der Hamas Ahmad al-Jabari.

Foto: EPA/MOHAMMED SABER

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Rauchsäule nach einem israelischen Raketenangriff auf Gaza.

Foto: EPA/OLIVER WEIKEN

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Israelische Soldaten feuern eine Rakete Richtung Gazastreifen. Die Abschusseinrichtung nennt sich "Iron Dome" mit dem Raketen aus dem Gazastreifen abgefangen werden sollen.

Foto: EPA/ATEF SAFADI

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Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv. Bei einem israelischen Raktenangriff wurde am Mittwoch der Militärchef der Hamas Ahmad al-Jabari getötet.

Foto: REUTERS/Ronen Zvulun

"Die Gesamtlage bleibt also gespannt. Ein Schritt auf die Palästinenser zu, wäre sicher ein Schritt zur Entspannung - ist allerdings nicht zu erwarten."

Foto: John Bunzl

Bei der aktuellen Eskalation im Gazastreifen wiederholen sich für John Bunzl, Nahost-Experte am Österreichischen Instituts für Internationale Politik (ÖIIP) schon bekannte Muster. Durch die Revolutionen in der arabischen Welt, habe es zwar Verschiebungen gegeben, aber direkte Auswirkungen auf den Konflikt erwartet der Politikwissenschafter nicht. 

derStandard.at: Warum eskaliert die Situation gerade jetzt?

Bunzl: Es gibt verschiedene Erklärungen. Eine ist, dass in Israel im kommenden Jänner gewählt wird und die Regierung sich als militärische Macht beweisen will und dadurch von den vielleicht sonst anstehenden sozialen Themen ablenken will. Die zweite Motivation sehe ich in einer Provokation, die von der Hamas ausgeht, um zu testen, wie sich Ägypten verhalten wird. Man könnte annehmen, dass sich die neue ägyptische Regierung anders verhält als Mubarak. Allerdings wird die Reaktion Ägyptens keine militärische, sondern eine diplomatische sein.

derStandard.at: Was würden sich die Hamas-Vertreter als ägyptische Reaktion wünschen?

Bunzl: Die Mobilisierung der Arabischen Liga, Intervention beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und vielleicht Drohgebärden. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch schon geschehen. Es gab einen Appell an die Arabische Liga und den UN-Sicherheitsrat. Die Stimmung in Ägypten ist sehr gegen die israelischen Maßnahmen. Die Hamas im Gazastreifen ist sehr eng mit den ägyptischen Muslimbrüdern verbunden: Sie ist eine Gründung der Muslimbrüder in Palästina und der derzeitige ägyptische Regierungschef Mursi ist ebenfalls ein Vertreter der Muslimbrüder. Der vorherige Staatschef Mubarak plfegte ein besseres Verhältnis zu den Regierenden in Israel und den USA.

derStandard.at: US-Präsident Obama hat in einer ersten Äußerung bereits volle Rückendeckung der USA für die Aktionen Israels signalisiert. Wird er bei dieser Linie bleiben oder könnte es Änderungen geben?

Bunzl: Das war für Obama der erste Test nach den Wahlen. Die meisten Kommentatoren haben zwar erwartet, dass Obama, nachdem er ja nicht noch einmal gewählt werden kann, auch eine Veränderung in der Nahost-Politik der USA einleiten könnte, aber die erste Erklärung zu den israelischen Aktionen lässt auf Kontinuität schließen. Hier geht es für die USA um Rücksichtnahme auf Interessensgruppen. Längerfristig kann ich mir aber vorstellen, dass sich Obama mehr von Netanjahu distanziert. Das war zum Teil auch schon bisher der Fall. Netanjahu hat Obama mehrfach beschämt indem er Obamas Wünsche, was zum Beispiel die Siedlungspolitik Israels betrifft, zurückgewiesen hat.

derStandard.at: Welche Auswirkungen hat der israelische Angriff und die Tötung des Militärchefs Jabari auf die Hamas?

Bunzl: In solchen Fällen können Personen in ihrer Funktion ersetzt werden. Der getötete Militärchef der Hamas wird einen Nachfolger bekommen. Das ist ein blutiges Spiel, das schon jahrelang so läuft. Es wird die Stellung der Hamas in Gaza sicher nicht schwächen. Es wird stärkere Forderungen nach Revanche geben, weil auch ziemlich viele Todesopfer zu beklagen sind. Das heißt, der Raketenbeschuss wird fortgesetzt werden. Unter diesem Teufelskreis leidet sowohl die Bewohner der israelischen Siedlungen rund um den Gazastreifen als auch die Bevölkerung des Gazastreifen.

derStandard.at: Die Hamas hat mit der Aussage "Die Tore der Hölle sind geöffnet" eine angriffige Rhetorik gewählt. Kann das mehr bedeuten als vermehrten Raketenbeschuss?

Bunzl: Solche Formulierungen kennen wir auch schon, das ist ein Deja vu. Die Hamas ist zwar in der Lage, Israel zu irritieren und zu provozieren, aber mehr als diesen Raketenbeschuss kann ich mir nicht vorstellen. Natürlich gibt es ein ständiges Bemühen wieder israelische Soldaten zu entführen, das konnte Israel aber bisher verhindern. Auch über den Sinai und die Negev-Wüste könnte die Hamas versuchen, Angriffe zu starten. Die israelische Seite ist darüber aber gewarnt und inzwischen auch besser vorbereitet. Auch Ägypten versucht terroristische Gruppen auf dem Sinai auszuschalten. Aber nachdem Ägypten noch nicht konsolidiert ist, ist das bisher noch nicht gelungen. Es könnte also durchaus sein, dass über den Sinai Angriffe auf Israel versucht werden.

derStandard.at: Könnte es eine weitere Eskalation geben, indem zum Beispiel Israel Bodentruppen einsetzt?

Bunzl: Es wurde davon gesprochen, es wurden auch verstärkte Bombardierungen angekündigt. Das ist alles Ende 2008, Anfang 2009 schon einmal passiert. Es ist allerdings nur ein Element in dem ganzen Konflikt und die Regierung Netanjahu hat überhaupt nicht versucht, mit der legitimen Führung der Palästinenser unter Abbas zu verhandeln. Die Gesamtlage bleibt also gespannt. Ein Schritt auf die Palästinenser zu, wäre sicher ein Schritt zur Entspannung - ist allerdings nicht zu erwarten.

derStandard.at: Wie kann Abbas in einer solchen Situation reagieren?

Bunzl: Er wird verbal reagieren. Es gibt zwar die Rivalität zur Hamas, aber ich glaube nicht, dass man sagen kann, er wird Schadenfreude empfinden. Es wird ihn aber auch nicht unbedingt stören, wenn Hamas geschwächt wird.

derStandard.at: Könnte es Abbas nicht insofern stören, als dass die derzeitige Konfrontation Verhandlungen noch unwahrscheinlicher macht?

Bunzl: Das mit den Verhandlungen ist ein Spiel. Die Palästinenser haben jahrzehntelang verhandelt und es ist nichts dabei herausgekommen. Die Schwierigkeit liegt eher auf der israelischen Seite. Es ist schwer vorstellbar, dass Abbas außer einer totalen Kapitulation noch irgendetwas anbieten kann.

derStandard.at: Sehen Sie in der derzeitigen Situation eine neue Qualität des Konflikts oder die Wiederholung von Ereignissen, wie sie schon öfter passiert sind?

Bunzl: Der einzige Unterschied ist, dass inzwischen die Aufstände in der arabischen Welt stattgefunden haben. Das ist eine Verschiebung, die sich allerdings nicht unmittelbar auf den Konflikt auswirkt.

derStandard.at: Warum gibt es von israelischer Seite immer wieder Raketenangriffe und keine gezielten Geheimdienstoperationen um bestimmte Gegner auszuschalten?

Bunzl: Aktionen wie die Liquidierung des Militärchefs Jabari funktionieren sicher nur mit Hilfe von Kollaborateuren oder Unterstützung des israelischen Geheimdienstes. So genau zu wissen, wo sich jemand zu einem gewissen Zeitpunkt aufhält, ist nicht anders zu bewerkstelligen. Diese spektakulären Aktionen sollen auch die Nebenwirkung der Einschüchterung der Bevölkerung haben. Aber es ist in dieser teuflischen Logik keine militärische Notwendigkeit. Sicherlich könnte man auch anders vorgehen. Gezielte Tötungen auch von prominenten Palästinensern sind im Gazastreifen immer wieder weniger spektakulär durchgeführt worden. (mka, derStandard.at, 15.11.2012)