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Fit bis ins hohe Alter: Japaner gehen spät in Pension.

Foto: epa/kennedy brown everett

Arbeiten bis über 70? Was in Europa Ängste auslöst, ist in Japan bereits Teil des Alltags. Aus finanziellen und sozialen Motiven heraus steigen viele Senioren nach ihrer Pensionierung noch einmal ins Berufsleben ein. Zu Besuch bei einem der ältesten Jobvermittler der Welt.

Tokio - "Leider, Sie sind zu jung", bekommt zu hören, wer Kenji Uedas Hilfe bei der Jobsuche braucht und das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Es ist Freitagabend in Tokio und Herr Ueda führt den neugierigen Besucher durch die Räumlichkeiten seines Unternehmen " Koreisha", was frei übersetzt "Alte-Leute-Firma" bedeutet. Drei Zimmer, graue Schreibtische, viele Rechner: Das im Nordosten Tokios gelegene Büro von Koreisha unterscheidet sich kaum von anderen Dienstleistern. Doch die Mitarbeiter hier sind einzigartig.

Ueda hatte vor zwölf Jahren eine gewinnbringende Idee. Der ehemalige Angestellte des Energieversorgers Tokyo Gas gründete ein Unternehmen, das sich ausschließlich auf die Jobvermittlung für ältere Arbeitnehmer spezialisiert hat. Die Grenze nach oben hin ist offen, "wobei es ab 75 Jahren mit der Vermittlung schwer wird", wie Ueda sagt, "weil sich die Leute da nicht mehr so gut in neue Tätigkeiten einfinden". Aber nicht nur die Jobsuchenden sind reifere Semester. Die Angestellten bei Koreisha sind überwiegend 60 plus. Ueda, der an Parkinson leidet, ist 74, sein Geschäftsführer Shoji Ariga ist zwei Jahre jünger.

Koreishas Konzept hat Zukunftspotenzial. Tokios Einkaufsstraßen und Unterhaltungsvierteln gehen zwar vor jungen Menschen über. Doch dieser Eindruck täuscht: Japan ist die älteste Gesellschaft der Welt. Fast ein Viertel der Männer sind über 65 Jahre alt, bei Frauen ist der Altersschnitt noch höher.

Bevölkerung schrumpft

Weil Migranten nicht willkommen sind und Japaner lange leben - das Land hat laut Uno mit 83,4 Jahren die höchste Lebenserwartung der Welt - nimmt die Zahl der arbeitsfähigen Menschen stetig ab. Seit 2005 schrumpft die Bevölkerung. Für die Finanzierung des Pensionssystems und die schwächelnde Wirtschaft ist der Arbeitskräfteschwund eine enorme Herausforderung.

Doch die Entwicklung bietet auch Chancen, wie das Beispiel Koreishas zeigt. Der Personalvermittler hat bisher 700 Senioren eine Arbeitsstelle verschafft, Tendenz steigend. "Weil die Jungen fehlen, braucht Japan die Älteren. Die Arbeit muss schließlich getan werden", meint Ueda. Die meisten Pensionisten, die er weitervermittelt, übernehmen kleinere Jobs im Ausmaß von 30 Stunden im Monat, oft sind es nur Hilfstätigkeiten. Viele landen bei Tokyo Gas, wo sie Leitungen überprüfen. Ueda hat Kunden bei Inkassobüros untergebracht, wo sie Schuldner per Telefon an ihre Zahlungsverpflichtungen erinnern. Andere prüfen für Makler den Zustand geräumter Appartements. Koreisha verdient bei jeder Vermittlung mit und behält sich einen kleinen Teil des Lohnes seiner Kunden ein.

Zweite Karriere als Hilfskraft

Die meisten Senioren werden in ihrem Karriereweg nur gering entlohnt. Nicht selten kehren sie in ihr altes Unternehmen in niedrigerer Funktion zurück. Warum tun sie das? Eine wichtige Rolle spielt Geld: Pensionen sind in Japan extrem niedrig. Laut OECD bekommt ein Japaner weniger als 40 Prozent seines durchschnittlichen Monatslohns aus der Zeit seines Arbeitslebens als Pension ausbezahlt. In Österreich ist der Wert fast doppelt so hoch. Unter diesen Umständen ist Arbeiten im Alter oft eine Notwendigkeit.

"Aber es geht nicht nur um den Zuverdienst", sagt Florian Kohlbacher. Der Österreicher lebt seit neun Jahren in Tokio und forscht über die alternde Gesellschaft. Was Jobben für Senioren interessant macht, sind soziale Faktoren, erzählt Kohlbacher. Arbeit habe in Japan einen höheren Stellenwert als in Europa. "Selbst wenn der zweite Job schlechter bezahlt und die Stellung niedriger ist, bekommt jeder der arbeitet, Anerkennung".

Tatsächlich üben viele Senioren in Japan einen Beruf aus: In Tokio sieht man oft ältere Männer (bei Frauen ist der Beschäftigungsgrad generell niedriger) als Verkäufer in Geschäften oder als Hilfskräfte, die bei Straßenarbeiten den Verkehr regeln. Das Regelpensionsalter liegt bei 65 Jahren, doch im Schnitt gehen Japaner mit 70 in Rente. Laut OECD arbeiten nur Mexikaner noch länger über das Regelpensionsalter hinaus.

Für Kohlbacher ist Japan ein zukunftsweisender Modellfall für Europa: Zwar gibt es große Unterschiede, so ist etwa die Arbeitslosigkeit in Japan niedrig, was für einen Bedarf an älteren Arbeitskräften sorgt. Aber langfristig steuern Länder wie Österreich und Deutschland auf eine ähnliche demografische Entwicklung zu, "nur hat Japan zehn Jahre Vorsprung".

Dabei geht der Staat bisher mit den Herausforderungen nicht anders um: Die Regierung in Tokio hob erst kürzlich das Pensionsalter auf 65 an, um die Finanzierung des Systems zu sichern. Das wird nach Ansicht der meisten Ökonomen nicht reichen. Noch liegen die staatlichen Zuschüsse in das umlagenfinanzierte System auf moderatem Niveau und sind sogar niedriger als in Österreich. In den kommenden Jahren dürften die Kosten aber rapide steigen.

Kohlbacher erzählt zudem, dass Japans Unternehmer das Potenzial des demografischen Wandels kaum nutzen: Investitionen in altersspezifische Dienstleistungen wie beim Personalvermittler Koreisha wären die Ausnahme.

Ist aber berufliche Tätigkeit bis ins hohe Alter hinein wirklich erstrebenswert? Ja, sagt Kohlbacher. Wer als Senior nicht allein aus finanziellem Druck heraus jobbt und eine für sich sinnvolle Tätigkeit finden, kann sogar etwas für seine Gesundheit tun. Das richtige Umfeld wirkt eben verjüngend. (András Szigetvari, DER STANDARD, 10./11.11.2012)