BMW E65: Chris Bangles Heckknick sorgte anfangs für Irritationen. Doch dann wurde fleißig und in abgemilderter Form kopiert.

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Als Kanten noch Kanten waren: Concept Car Lancia Stratos von 1970. Ein Bertone-Design.

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Audis Single-Frame: Kernbotschaft eines erfolgreichen Designs. Nun droht man im Erfolg zu erstarren.

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Die Mercedes A-Klasse von 1997: Versuch einer Neuerfindung des Automobils. Im ersten Anlauf gescheitert.

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Es gab Zeiten, da wurden die Autos immer golatschiger. Den Auftakt dieses Trends stellte 1982 der Ford Sierra dar, der in geradezu revolutionärer Manier den optisch mehr oder weniger totgelaufenen Taunus ablöste, eine Ikone der Scharfkantigkeit, über Generationen ausgefeilt und zugespitzt. Auf den pummeligen Sierra also folgten Jahrzehnte der Rundlichkeit. Jeder Versuch, wuchtelige Formen mit markanten Linien zu durchbrechen, wurde vom Publikum bestraft. Jetzt ist wieder Kante angesagt. Und wie!

Eigentlich, wenn man genauer hinsieht, sind die Autos noch immer rundgelutscht wie Eibischzuckerln. Das diktiert der Windkanal. Doch dazwischen werden die Insignien des neuen Selbstbewusstseins geschickt eingefügt, meist so, dass sie optisch weit mehr Aufsehen erregen, als technisch tatsächlich dahintersteckt, weil sich letztlich doch alles im Wind ducken muss.

Konvex-konkav-Spiel

Als Pionier in Sachen Kante gilt Chris Bangle, Chefdesigner beim BMW von 1992 bis 2009. Er machte das Konvex-konkav-Spiel an der Oberfläche der Karosserie zum zentralen Thema fürs Autodesign bis heute, beherrschte aber auch die Retro-Schiene, entwarf scheinbar nebenbei den Rover 75 und die Neuauflage des Mini. Letztlich stolperte er aber über den Kofferraumdeckel des 7er-BMW. Nicht zuletzt Bangles Mut, eigentlich der Mut seiner damaligen Vorgesetzten, die hinter seinen riskanten Manövern standen, führte BMW auf die breite Straße des Erfolges. Aber dort auch zu bleiben ist eine heikle Aufgabe. Und daraus folgt der Grundsatz: Never Change a Winning Team. Erfolgreiche Autohersteller verlieren deshalb zusehends ihren Biss, je länger sie auf der Welle des Ruhms surfen.

An den drei deutschen Premiums kann man das sehr gut ablesen. Als Audi, bis an die Zähne mit technologischer Kompetenz aus der VW-Gruppe bewaffnet, die Vorherrschaft von Mercedes und BMW im Segment der feinen Marken attackierte, legte man auch im Design noch Experimente vor, wie etwa den rundlichen Hintern des A6 oder als Höhepunkt der Aufholjagd den sogenannten Single- Frame-Kühlergrill. Diese mächtige Schnauze, die die Dominanz des Stoßfängers durchbricht und einem geöffneten Maul gleichkommt, jederzeit bereit, den Vorausfahrenden zu verspeisen, diente fortan als geradezu unumgängliches Vorbild für den Rest der Welt.

Grimmiger Blick: chic

Kaum ein Hersteller traute sich mehr, ein Auto ohne machtvolle Lippen bis hin zur Fratze zu präsentieren. Selbst bei Kleinwagen, bis dahin dem Kindchen- oder Hündchenschema verpflichtet, gilt der grimmige Blick seither als chic. Audi war mutig und gewann. Inzwischen können wir am Design von Audi, BMW und Mercedes ablesen, wie der Hase des Erfolges gerade läuft. BMW fährt derzeit eine "Wie geht's? - Danke gut"-Strategie. Chris Bangles scharfkantige Innovationen schwingen noch immer nach, im Übrigen versucht man in einem beispiellosen Erfolgshunger jede noch so kleine Nische im Markt auszufüllen.

Die ausbalancierte Mischung aus ein bisschen Sicherheit und ein bisschen Mut garantiert vorerst noch die Eigenständigkeit des Designs, ein gewisser Verwaschungseffekt ist allerdings erkennbar, unter anderem deshalb, weil erfolgreiche Designs auch gerne nachgemacht werden.

Austauschbare Linien

Audi ist bereits einen großen Schritt weiter: Man droht, zumindest was das Design angeht, im Erfolg zu erstarren. Am liebsten würde man wohl den Erfolg einfach einfrieren. Audis sehen inzwischen irgendwie alle gleich aus. Die Betonung der Einzigartigkeit des neuen A3 beschränkt sich auf die sogenannte Tornado-Linie: eine zarte Andeutung einer Seitenlinie, die derzeit unumgänglich Mode ist, aber doch jederzeit einfach wieder entfernt werden könnte.

Mercedes hat nun nach Jahren der Orientierungsarmut und daraus resultierender Schüchternheit wieder eine mutige Linie gefunden. Mit der ersten A-Klasse wagten sich die sicherheitsbewussten Schwaben für damalige Verhältnisse (1997) voll aufs Glatteis. Um die premiumgemäße Großartigkeit des Wurfs offensichtlich zu machen, versuchte man schlicht das Automobil neu zu erfinden, mitsamt seiner eigenen Zukunft. Ein bisschen ist es gelungen, aber ganz hat sich die Zukunft nicht an die Prognosen von damals gehalten. Kein anderer Hersteller hat so umfassend mit neuen Technologien experimentiert wie Mercedes mit seiner A-Klasse mit dem doppelten Boden. Doch jetzt hat man die A-Klasse rigoros zu einem echten Mercedes gemacht.

Aufwärtsschwung

Kernelement ist das mutige Design, das keine Berührungsangst mit geltenden Moden kennt. Mit einer gewissen Gnadenlosigkeit hat man skulpturhaft einen Aufwärtsschwung in die Längslinie gesetzt, den sich Audi nur anzudeuten traut, wohl riskierend, mit Japanern und Koreanern verglichen zu werden, die sich dieses Stilmittels mittlerweile auch bedienen. Was wir daraus lernen können? Wer viel zu verlieren hat, verliert zuerst an Schwung. Wer gewinnen will, muss Anlauf nehmen. (Rudolf Skarics, Rondo, DER STANDARD, 9.11.2012)