Die junge US-Techno-Produzentin Holly Herndon verbindet Club-Sounds mit E-Musik.

Foto: Suzy Poling

Holly Herndon mag da eine musikhistorisch betrachtet etwas seltsame Position vertreten. Immerhin behauptet sie, beim Laptop handle es sich um jenes Instrument, mit dem man am intimsten Musik machen könne. Allerdings kann man der studierten US-Komponistin insofern folgen, als ein Laptop ja längst nicht mehr als kalte, seelenlose Maschine wahrgenommen wird, sondern als Fenster zur Welt, in dem alle Freunde und die Familie wohnen. Man lebt also einen Gutteil des Tages damit, kocht drin Essen, das dann nach 30 Minuten fertig ist. Man braucht nur die Wohnungstür öffnen und es herausnehmen. Man kann sein Sexualleben in den Computer auslagern, wahlweise Frontalunterricht genießen oder einen Avatar die Drecksarbeit erledigen lassen. Das Büro ist auch gleich mit drin, das Freizeitangebot sowieso. Und wer besonders geschickt mit den Tasten ist, kann ja auch an der Weltherrschaft basteln.

Holly Herndon nutzt nach ihrem sich über fünf Jahre ziehenden Studium der Technopartys als DJ in Berlin und einem seriösen Master-Degree am für die zeitgenössische US-Musik enorm wichtigen kalifornischen Mills College sowie infolge ihres derzeitigen Doktoratsstudiums für Computermusik in Stanford vor allem die visuelle Programmsprache Max/MSP. Sie generiert damit nicht nur die üblichen synthetischen Grenzfälle zwischen Klang, Geräusch und Kinderspielzeug-Sprotz, -Dingdong und -Rem-Demma-Deng. Musik dieser Art tauchte im von Herndon geschätzten Minimal-Techno-Bereich zum Beispiel bei Pan Sonic oder dem Minimal Man auf - vor allem auch barock-vertrackter beim Aphex Twin. Mit diesen kargen, bescheidenen Mitteln jazzte man das Genre der repetitiven Ereignislosigkeit jahrelang hoch zum kreativen Höhepunkt des Nachtlebens vor DJ-Kanzeln.

Auf Holly Herndons auch zeitlich schlank gehaltenem Debütalbum Movement wird die Euphorie der Nacht und Tanzflächen allerdings überwiegend durch Bearbeitungen von Herndons Stimme nachgestellt. Im Gegensatz zum üblichen Autotune-, Hall- oder Engelschor-Geschraube an den Vokaleffekten verunstaltet Herndon aus dem Stroboskopgewitter gerettete Songzeilen wie "Reach out your hand". Über irgendwie auch ironisch gebrochenen Marschierbeats rettet sich Herndons Stimme durch Hakenschlagtechnik zwischen Zerdehnung, Delay-, Distortion- und Häcksler-Misshandlung. Der zentrale beatlose Track namens Breathe beginnt überhaupt als nachgereichter Soundtrack dieses einen Hollywood-Schockers, bei dem ein Mann lebendig begraben erwacht - und jetzt nach mehreren Stunden geht langsam die Luft aus. Wohlmeinend könnte man aber auch sagen: Hey, diese Atemgeräusche kenne ich doch von der Sensate-Focus-Therapie. Programmpunkt: Schmusen mit Cyborgs. Tolles Album. Mal was anderes, ein Technobrett ohne Bretter. So-zu-sa-ha-ah-ha-g-g-g-gggg-ha-g------ggggg-en.   (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 9.11.2012)