Ein Abbruchhaus als Goldgrube: Viele Materialien könnten direkt wiederverwertet werden, bevor sie auf der Mülldeponie landen.

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Wiener Forscher wollen erheben, wie man daraus neue Rohstoffe gewinnen kann.

Jeder von uns sitzt auf Bergen von Müll - drastisch gesprochen. Statistisch hat jeder Österreicher in den letzten ein bis zwei Jahrhunderten ein Materiallager von 400 bis 500 Tonnen an Baustoffen, Metallen, Kunststoff und ähnlichem angehäuft, sicher verpackt in Gebäuden, Autos, Infrastruktur. Trotz aller Recyclingbemühungen galten diese verarbeiteten Rohstoffe bisher als verloren.

Doch was, wenn dieser vermeintliche Müll die Rohstoffbasis der Zukunft ist? Jetzt rücken nämlich diese "anthropogenen", also menschengemachten, oder "sekundären" Ressourcen als mögliche Rohstoffquellen zunehmend in den Fokus der Forschung. Anfang Oktober startete ein Labor der Christian Doppler Forschungsgesellschaft, das sich genau damit beschäftigt. Es handelt sich dabei um eine Zusammenarbeit der TU Wien mit privaten Betrieben. "Wir können davon ausgehen, dass derzeit etwa genauso viele Rohstoffe in Verwendung sind, wie es noch bekannte, abbaubare Primärressourcen gibt", sagt Johann Fellner vom Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft an der TU Wien, der das neue CD-Labor für anthropogene Ressourcen leitet.

Primärressourcen, wie etwa Erzlagerstätten, seien mittlerweile sehr gründlich erforscht, Abbaumethoden würden ständig weiterentwickelt und optimiert. Für anthropogene Ressourcen gelte das nicht. "Ziel unserer Arbeit ist es, dieses Defizit aufzuholen und den Forschungsstand anzugleichen", sagt Fellner.

Basieren wird die Forschung des Labors auf vier Fallstudien. Die erste widmet sich dem Ressourcenpotenzial von Bauwerken und Infrastruktur. Dabei soll herausgefunden werden, unter welchen Bedingungen und in welchem Maß die Rückgewinnung von Rohstoffen aus Abbruchprojekten Sinn macht - schließlich muss das Ergebnis den Aufwand auch ökonomisch lohnen.

Zu diesem Zweck werden mehrere Gebäudekategorien getestet, um herauszufinden, was wo und in welcher Art und Weise verbaut wurde. " Darauf, dass auch Gebäude eine begrenzte Lebensdauer haben, wird beim Bau nur sehr selten Rücksicht genommen", sagt der Laborleiter. So seien moderne Gebäude meist sehr viel schwerer abzubauen, weil sie zwar eine einen höheren Materialwert aufweisen als ältere, diese Baumaterialien aber durch die Verarbeitung schwerer zu trennen seien.

Kupferkabel und Aluminium

Doch was genau soll aus Abbruchgebäuden gewonnen werden? "Grundsätzlich möglichst alles", sagt Fellner, "je mehr qualitativ hochwertig verwertet wird, desto weniger Material geht auf die Deponie." Besonders interessant seien Kabel - besonders jene aus Kupfer -, Leitungen sowie Stahl und Glas. Aber auch aus mineralischen Baustoffen wie Beton könnten Recyclingmaterialien erzeugt werden.

In der zweiten Studie zu Aluminium verfolgt das Labor einen großflächigeren Ansatz. Hier werden nicht Einzelprojekte untersucht, sondern gesamtvolkswirtschaftliche Daten als Berechnungsgrundlage genommen: Produktionsmengen in Verbindung mit Import und Export, Konsum und Legierungsarten des Aluminiums. Aluminium kommt in sehr vielen Anwendungen vor: als Konstruktionsmaterial in der Flugzeug- und Automobilindustrie, in Elektronikgeräten, in Verpackungsmaterialien. In welchen Mengen es als potenzielle Sekundärressource dienen kann, hängt davon ab, wann der Rohstoff wieder verfügbar ist, also welche Lebensdauer die Güter haben, in denen er verarbeitet ist.

Denselben Ansatz wie bei Aluminium verfolgt das CD-Labor auch im Fall von Kunststoffen, wo die Materialqualität eine wesentliche Rolle spielt. Diese entscheidet, ob sich gewonnene Ressourcen für die Erzeugung neuer Kunststoffe eignen oder ob sie anderweitig genutzt werden sollten - etwa zur Energiegewinnung.

Der vierte Fokus des neuen Labors liegt auf Filterasche, einem Beiprodukt bei Müllverbrennung und Abgasreinigung. Bei der Verbrennung von einer Tonne Müll fallen im Schnitt etwa 20 Kilogramm Filterasche an. Dieser mit Schwermetallen kontaminierte Filterstaub darf in Österreich nicht gelagert werden und muss deshalb exportiert werden - verbunden mit erheblichen Kosten.

Stattdessen soll nun untersucht werden, wie die enthaltenen Metalle zurückgewonnen werden könnten. Der verbleibende Rest kann dann entweder deponiert oder selbst als Rohstoff verwendet werden, zur Herstellung von Zement. "Die Trennung ist noch sehr energieintensiv und deshalb teuer. Eine unserer Forschungsfragen wird sein, wie das Verhältnis von Kosten und Nutzen verbessert werden kann", erläutert Fellner.

Eine Frage der Qualität

Bis 2019 werden insgesamt neun Mitarbeiter des CD-Labors, das von Wirtschaftsministerium, Nationalstiftung und den beteiligten Unternehmen finanziert wird, die Möglichkeiten zur Wiederverwertung anthropogener Ressourcen ausloten. Trotz dieser Ansätze geht Fellner nicht davon aus, dass ein völliger Verzicht auf Primärressourcen in Zukunft möglich sein wird: "Es wird keine hundertprozentige Recyclinggesellschaft geben. Dafür ist die Qualität des Materials zu schlecht." Auch wenn bei der Wiederverwertung weiterhin reine Rohstoffe zu den recycelten gemischt werden müssen - aus so mancher Asche kann noch etwas Neues entstehen. (Barbara Wallner, DER STANDARD, 07.11.2012)