Die Wiener Hutmode genoss in den 30er-Jahren Weltruf. Die Hüte der Brüder Otto und Robert Korff etwa waren stilprägende Objekte der Begierde. Das Hutgeschäft Korff auf der Mariahilfer Straße hatte so wie mehr als zwei Drittel der Textilbetriebe jüdische Besitzer. Ihre Firmen wurden "arisiert", stillgelegt oder während der Novemberpogrome 1938 zerstört.

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Es gab eine Zeit, da gehörte Wien zu den großen Mode- und Textilzentren Europas. In vielen Bereichen des Modedesigns - etwa bei der Strick-, Hut- oder Ledermode - genossen Wiener Erzeugnisse Weltruf. Auch die Modepublizistik und -fotografie waren in den 1930er-Jahren ebenso stilprägend wie ökonomisch bedeutend.

Dieses innovative Klima wurde zu einem großen Teil von jüdischen (Klein-)Unternehmern und Händlern geprägt. Mehr als zwei Drittel der Textil-Einzelhandelsbetriebe hatten jüdische Besitzer - das waren 1937 rund 2600 Modegeschäfte allein in Wien. Diese wirtschaftlich und kulturell enorm fruchtbare Situation änderte sich im Zuge des "Anschlusses" im März 1938 schlagartig.

Die zunächst "wilden Arisierungen" und antijüdischen Übergriffe wurden ab diesem Zeitpunkt durch die NS-Institution "Vermögensverkehrsstelle" zentral gelenkt, innerhalb weniger Monate waren sämtliche Juden aus der Bekleidungswirtschaft entfernt. Die im Jänner 1938 gegründete "Arbeitsgemeinschaft deutscher Unternehmer der Spinnstoff-, Bekleidungs- und Lederwirtschaft - ADEBE" propagierte den Abbruch aller Geschäftsbeziehungen zu jüdischen Unternehmen und die "Pflege einer deutschen Kleidkultur".

Hetze gegen "Modejuden"

Ihr Vorsitzender Otto Jung schrieb zahlreiche Hetzartikel gegen die sogenannten "Modejuden", etwa für den Völkischen Beobachter oder die Textilzeitung: "Der Jude ist auch heute so wenig wie vor Jahren, als mithilfe des jüdischen Elements eine geradezu unwürdige Mode in Deutschland eingeschleppt wurde, imstande, die deutsche Frau so zu kleiden, wie sie den deutschen Männern gefällt, sondern nur so, wie sie ihm selbst gefallen könnte. Der Jude fördert nur - und zwar durch hässliche Kopiererei ausländischer Modelle - die von Paris diktierte internationale Mode (...)"

Während in anderen Kulturbereichen die Vernichtung kreativen Potenzials durch die Nationalsozialisten bereits gut dokumentiert ist, wurde der Mode- und Textilsektor diesbezüglich kaum erforscht.

Mit ihrer unter anderem vom Zukunftsfonds der Republik Österreich sowie vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geförderten Untersuchung zu "Arisierungen" und Liquidationen in der Wiener Textil- und Modewirtschaft zwischen 1938 und 1940 dringt die Historikerin Andrea Hurton in eine Terra incognita der zeitgeschichtlichen Landkarte vor. In einer Datenbank erfasst die Wissenschafterin sowohl die Opfer als auch die Profiteure der " Arisierungen". Das Hauptaugenmerk richtet sich darauf, dieses stadt- und kulturgeschichtlich wichtige Thema anhand verschiedener Quellen soweit wie möglich zu rekonstruieren und nicht völlig in Vergessenheit geraten zu lassen.

Ein Paradebeispiel für viele abstoßende Aspekte der Arisierung sind die Machenschaften rund um das angesehene Herrenmodegeschäft Kleiderkönig in der äußeren Mariahilfer Straße. "Dieses Unternehmen im Besitz der Brüder Filipp und Eduard König galt als besonders lukratives Objekt - entsprechend umkämpft war es von den Arisierungswerbern", berichtet Andrea Hurton.

Nazi-Übernahme

Auf der Interessentenliste befanden sich unter anderem Harald Wuchte, Verkaufsleiter der Wiener Molkerei und Mitglied des SS-Reitersturms, der Schneidermeister Otto Linhart, seit 1932 Mitglied der SA, Alfred Verdorfer, leitender Beamter einer Kraftfutterfabrik, sowie der Schneider Rudolf Sattler, Mitglied der Österreichischen Legion - einer paramilitärischen Einheit österreichischer Nazis, die ab 1933 für den " Anschluss" kämpfte. Letzterer machte das Rennen und bekam vom " Staatskommissar in der Privatwirtschaft" die Genehmigung zur Übernahme der Firma König.

Sattler "kaufte" sie um einen Bagatellbetrag. Die beiden ehemaligen Besitzer bekamen noch sechs Monate lang ein kaum zum Überleben reichendes "Wochengehalt". Während dieser Zeit mussten sie in der Firma arbeiten und ihr Know-how weitergeben. Erst danach war ihnen die Ausreise erlaubt. Filipp König erlebte sie nicht mehr, er starb im Februar 1939.

Für Sattler dagegen lief alles bestens. Ein Schlaglicht auf den Sumpf aus Betrug und Korruption, auf dem er seinen neuen Reichtum aufbaute, wirft die Anzeige seines ehemaligen Arisierungskonkurrenten Alfred Verdorfer bei der "Abwicklungsstelle der Vermögensverkehrsstelle": Dieser verwies auf massive Unregelmäßigkeiten bei der Wertberechnung (für das auf 600.000 bis 800.000 Reichsmark geschätzte Unternehmen sollte Sattler jedem der beiden Eigentümer 6000 RM zahlen sowie die Passiva von etwa 150.000 RM übernehmen) und warf ihm Cliquenwirtschaft vor.

In seiner Anzeige schreibt er: "Rudolf Sattler war im Sommer 1938 Hilfsreferent in der Vermögensverkehrsstelle (...). Hauptreferent war ein gewisser Dr. Mauritz, der den Arisierungsakt des Kleiderhauses König zusammen mit Rudolf Sattler führte. (...) Mauritz ist gegenwärtig dessen Angestellter im Kleiderhaus König."

Selbstbedienung und Betrug

Sattler begnügte sich aber nicht mit dieser üppigen Beute, sondern ging weiter auf Schnäppchenjagd in der Textilbranche. Seine entgrenzten Selbstbedienungsaktivitäten fielen sogar der Vermögensverkehrsstelle auf, sodass seine weiteren Übernahmebewerbungen abgewiesen wurden. "Wie Sattler versuchten zahlreiche ehemalige Angestellte der Vermögensverkehrsstelle und ähnlicher Institutionen aus ihrer Stellung Kapital zu schlagen", sagt Andrea Hurton. "Viele von ihnen besaßen weder Kapital noch Fachwissen oder auch nur den Willen, ein Unternehmen zu leiten - außer Habgier und Betrug sind keine Motive zu erkennen."

Wie das Kleiderhaus König wurden viele alteingesessene und bekannte Betriebe der Wiener Modewirtschaft Opfer der NS-Arisierungspolitik: etwa das Modenpalais Krupnik in der Kaiserstraße, der Kleiderhahn am Sparkassaplatz im 15. Bezirk, das Modewarenhaus Ludwig Zwieback & Bruder in der Kärntner Straße, das Schuhgeschäft Hugo Löwy, damals eines der exklusivsten Geschäfte Wiens, oder das renommierte Lederwarengeschäft August Sirk.

Viele der kleineren Wiener Textilgeschäfte wurden gar nicht erst arisiert, sondern - wenn sie nicht als lohnende Objekte erschienen - stillgelegt oder im Zuge der Novemberpogrome 1938 stark beschädigt oder zerstört und anschließend liquidiert. Von ihrer Existenz zeugt neben alten Fotos nur noch eine Liste der NSDAP Gau Wien vom Frühjahr 1939. (Doris Griesser, DER STANDARD, 07.11.2012)