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Steven Messham, angebliches Missbrauchsopfer in einem Kinderheim in Wales in den 1970er-Jahren.

Foto: Reuters/LUKE MACGREGOR

Der Skandal um Sexualverbrechen gegen britische Kinder zieht immer weitere Kreise. Nach den Vorwürfen gegen den verstorbenen BBC-Entertainer Jimmy Savile und dessen Kollegen gibt es nun auch Anschuldigungen gegen Polizeibehörden sowie gegen zwei führende konservative Politiker aus der Ära Margaret Thatchers.

Am Dienstag gab Innenministerin Theresa May im Londoner Unterhaus Details über zwei Untersuchungen bekannt, die möglichem Fehlverhalten der Polizei auf den Grund gehen sollen. "Wir werden unserer Verantwortung für die Opfer nicht ausweichen", sagte die Konservative.

Vergangenen Freitag hatte das Nachrichtenmagazin Newsnight eine Sendung über Missbrauch in einem Kinderheim im walisischen Wrexham zwischen 1974 und 1990 ausgestrahlt. Er sei dort selbst sowie in einem nahe gelegenen Hotel als Teenager mehrfach vergewaltigt worden, berichtete eines der Opfer, Steve Messham, vor der Kamera.

Den von ihm beschuldigten Politiker nannte das BBC-Magazin namentlich nicht; es handelt sich dabei um einen früheren Schatzmeister der Tories und Mitglied des Oberhauses. Der heute 70-Jährige habe mit rechtlichen Schritten gedroht, hieß es. Die sehr weitgehende englische Verleumdungsgesetzgebung hatte den Mann schon bei einer ersten richterlichen Untersuchung der Waliser Vorfälle geschützt.

Vor Gericht gestellt und verurteilt wurden damals sieben Sozialarbeiter und Lehrer; der Rest der 80 mutmaßlichen Täter, die von insgesamt 650 Zeugen und Opfern benannt worden waren, kam straffrei davon. Dabei könnte eine Rolle gespielt haben, dass Untersuchungsführer Ronald Waterhouse als Tatort lediglich das Kinderheim selbst überprüfte.

Zahlreiche Untersuchungen

Die beiden neuen Ermittlungsverfahren gesellen sich zu mindestens einem halben Dutzend bereits bekannter Untersuchungen: Drei davon drehen sich allein um die Vorgänge bei der BBC. Die innenpolitische Sprecherin der Labour-Opposition erneuerte deshalb ihren Ruf nach einer breit angelegten, unabhängigen richterlichen Kommission.

"Die vielen Untersuchungen zu Einzelthemen sollten zusammengebracht werden", sagte Yvette Cooper. Sie fand im Parlament Zustimmung auch von einflussreichen konservativen Politikern wie dem Rechtsexperten Edward Garnier.

Die konservativ-liberale Koalition unter Premier David Cameron hat im vergangenen Monat die Entrüstung der Öffentlichkeit gegen Savile und dessen Arbeitgeber, die ungeliebte öffentlich-rechtliche BBC, kräftig geschürt. Dabei ging es auch um Vorwürfe, das TV-Magazin Newsnight habe einen kritischen Bericht über Savile unterdrückt, weil der Sender das Andenken an seinen populären Star nicht gefährden wollte.

Orden soll aberkannt werden

Im Umkreis von Savile wurden zuletzt zwei andere BBC-Entertainer kurzzeitig festgenommen. Scotland Yard kündigte weitere Festnahmen an. Gegen den "rücksichtslosen Sexualverbrecher" Savile gibt es Anzeigen von mehr als 300 Frauen und Männern. Dabei geht es ebenso um Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch wie um konsensualen Sex mit Minderjährigen. Savile war im Oktober 2011 hochdekoriert verstorben.

Saviles berühmteste Sendung Jim'll fix it (Jim macht's möglich) wandte sich besonders an junge Leute. Mit ehrenamtlicher Arbeit in Krankenhäusern trieb der gläubige Katholik Spendengelder für wohltätige Zwecke ein. Papst Johannes Paul II. verlieh ihm den päpstlichen Ritterorden. Die Ehrung soll Savile nun posthum aberkannt werden. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 7.11.2012)