Es gab Zeiten, da hatten die USA Modellcharakter für die Europäer. Unmittelbar nach dem Krieg brachten sie den großteils in autoritärem Denken verhafteten Deutschen und Österreichern die Demokratie (mit der Draufgabe Marshallplan).

Bis weit in die Siebzigerjahre waren sie der Mehrheit eine beruhigende Rückversicherung gegen den Expansionismus der Sowjetunion. Die Popkultur war überwiegend amerikanisch. Vietnamkrieg und Unterstützung für blutige Diktaturen wie die in Chile verdüsterten das Bild. Aber die Watergate-Aufdeckung zeigte die Selbstreinigungkraft der amerikanischen Gesellschaft. Immerhin wurde ein politisch krimineller Präsident von funktionierender Presse, Justiz und Parlamentarismus gestürzt.

In den Achtzigerjahren wurde das US-Businessmodell von den europäischen Unternehmen und z. T. auch von den Regierungen unternommen: mehr Wettbewerb, mehr Privatisierung, mehr Deregulierung. Die Neunzigerjahre zeigten trotz New-Economy-Blase die Innovationskraft der amerikanischen Wirtschaft.

Selbstverständlich hatte es die ganze Zeit die Extremisten von ganz rechts und ganz links gegeben, die ihren Amerikahass auslebten. Die Rechten verziehen den Amerikanern die Befreiung von Hitler nicht, die Linken konnten nicht verstehen, warum der Kommunismus unterlegen ist. Aber für die Mehrheit waren die USA zwar eine Hegemonialmacht, aber eine mehr oder weniger wohlmeindende.

Das änderte sich, als Bush (Sohn) einen willkürlichen Krieg gegen den Irak begann und gleichzeitig die amerikanische Finanzindustrie aus dem Ruder lief und mit ihren Exzessen eine neue Weltwirtschaftskrise auslöste.

Spätestens jetzt war das Modell USA bei sehr vielen, wenn nicht den meisten (West-)Europäern diskreditiert. Daran ändert nichts, dass die USA immer noch Produkte (iPhone etc.) hervorbrachte, die jeder haben wollte. Das US-Modell wurde von vielen aktiv abgelehnt. Was übrigens reziprok ist: Mitt Romney bestritt seinen halben Wahlkampf damit, sich nur ja vom europäischen "Sozialismus" (= gesetzliche Sozialversicherung) abzugrenzen.

Obama schien einen Paradigmenwechsel zu bringen. Er war zwar leidlich erfolgreich mit Notmaßnahmen (gegen die drohende Depression), aber wirklichen "Change" brachte er nicht. Er konnte Visionen entwerfen, aber dann folgte nichts. Und jetzt, im Wahlkampf, kamen nicht einmal Visionen.

Das US-Modell scheint ausgedient zu haben, aber kein Mensch bei klarem Verstand kann das chinesische oder russische Modell wollen: Wachstum, unterlegt mit Willkür.

Und in Wahrheit hat auch das amerikanische Modell nicht ausgedient, wenn man darunter eine lebendige Demokratie und eine robuste Marktwirtschaft versteht. Aber derzeit weist das politische System schwere Dysfunktionalität auf, die Produktionsbasis erodiert. Niemand weiß, ob das nur eine Schwächephase ist, der ein neuer Schub folgt, oder ein stetiger Niedergang. Nur eines ist sicher: Irrelevant werden die USA nicht sein, weder so noch so. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 7.11.2012)