Foto: Blackbox

Im Internet sind 20 Jahre eine Ewigkeit. Vor 22 Jahren, anno 1990, wurde Österreich erstmals mit einer Standleitung ans Internet angeschlossen. Peter Rastl und sein Team am Zentralen Informatikdienst der Universität Wien hatten eine Genehmigung der weiland Post- und Telegraphendirektion für eine Standleitung erhalten. Mit maximal 64 kbit/s ging es darüber zum CERN in Genf.

Zugang gab es nur mittels Wählleitungsmodem

Nur zwei Jahre später gründete Michael Haberler mit der Eunet den ersten privaten Internet-Provider Österreichs. Im gleichen Jahr, in der Nacht vom 11. auf den 12. November 1992, ging die Blackbox online. Es handelte sich um ein BBS (Bulletin Board System) zum Austausch von Nachrichten. Zugang gab es nur mittels Wählleitungsmodem, sofern auch bei der Blackbox ein Modem frei war.

Die Gründer kannten sich aus der Sozialistischen Jugend. Die Blackbox sollte aber weit über die Parteigrenzen hinaus zu einem der damals größten sozialen Netzwerke Europas wachsen. Dazu verhalf, neben den guten Beziehungen der Gründer zur Stadtverwaltung, das User Interface: Der grafische Client der kanadischen First Class Software machte die Blackbox leicht bedienbar, während die meisten BBS rein textbasiert waren.

Aufschwung

Die Blackbox wurde von einem Verein getragen. Zur Finanzierung diente ein Modell, das heute als "Freemium" bekannt ist: Gebührenfreie Teilnahme war möglich, aber mit einer strengen zeitlichen Begrenzung pro Tag. Für unbeschränkten Zugang wurde ein aus heutiger Sicht stattlicher Mitgliedsbeitrag eingehoben.

Verschiedene Organisationen wickelten ihre interne Kommunikation über die Blackbox ab, darunter bis 2002 auch die Wiener Grünen. (Angesichts des parteipolitischen Hintergrunds der Blackbox eine bemerkenswerte Strategie). Diese Organisationen übernahmen bisweilen die Blackbox-Gebühren für ihre Mitglieder.

Teuer war es trotzdem, denn die Post verlangte stattliche Verbindungsgebühren. Der günstigere Onlinetarif für Datenverbindungen (ab 10 Schilling pro Stunde) wurde erst 1997 unter Bundeskanzler Viktor Klima eingeführt. Schon 1995 startete Wien das Projekt "Digitale Stadt", koordiniert von der Blackbox. Mit bescheidenem Erfolg betrieb der Verein bis 1997 unter wien.at das offizielle virtuelle Forum der Bundeshauptstadt. In dem Jahr zählte die Blackbox laut Telepolis mehr als 6.000 User, was damals richtig viel war.

Breites Spektrum

Neben den erwähnten Organisationen waren beispielsweise die Katholische Jungschar, die Junge Volkspartei (JVP), das Liberale Forum, BIZEPS (ein Verein behinderter Menschen), Amnesty International und andere mehr auf der Blackbox vertreten. Auch DER STANDARD hatte eine frühe Online-Präsenz auf der Blackbox. Schnittstellen zu E-Mail, FidoNet, Usenet und anderen Mailboxen waren das Tor zum Internet. Das Schwesterprojekt Blackboard diente Lehrern zur Vernetzung. In einem Anarchie-Bereich konnte jedes Mitglied ein beliebiges Forum einrichten. Wenn länger nichts los war, wurde es wieder gelöscht.

Rege Diskussionen prägten das Bild. "Leider ist diese Art der Diskussionsforen aus der Mode gekommen", meint Marcel Kneuer von der Katholischen Jungschar heute. "Man schreibt lieber schnell bei einer Onlinezeitung ein paar Zeilen unter einen Artikel, (als) mit anderen Leuten wirklich ernsthaft diskutieren zu können." Nun bereitet auch seine Gruppe ein eigenes Intranet vor.

Prominente Politiker, darunter der damalige Innenminister Caspar Einem und die Grünen Christoph Chorherr und Peter Pilz, hatten eigene Foren und beteiligten sich persönlich an den Diskursen. Dazu kamen Chats, in denen regelmäßig Prominente zu Gast waren. Die Community organisierte selbst ein legendäres Chat-Quiz, wobei die Gewinnchancen auch vom Zufall abhingen: Die Laufzeiten von der Eingabe der Antwort durch den Nutzer bis zum Erscheinen im Chat schwankten stark.

Der Prozess

Die Auseinandersetzungen auf der Blackbox waren nicht selten kontrovers. 1997 landete sogar ein Fall vor Gericht. Im Zentrum stand ein linksgerichtete Nutzer, weil er Mitarbeiter der JVP in deren eigenem Forum mit unflätigen Äußerungen bedacht hatte. Die Anwälte der Jungen ÖVP klagten aber nicht nur den Nutzer selbst, sondern auch die Blackbox.

Das damalige Mediengesetz war auf das heute verbreitete "User Generated Content"-Szenario nicht vorbereitet. So drohte auch der Blackbox eine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien. Das war aber keine ausgemachte Sache, denn die JVP musste sich auch selbst an der Nase nehmen. Andere Beiträge des Nutzers in ihrem Forum hatte sie durchaus gelöscht. Man fand zu einem Vergleich.

Transformation und Schwund

In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt des Internet aus der Sicht privater Nutzer immer mehr in Richtung World Wide Web (WWW). Zwar entwickelte auch First Class ein Web-Interface. Es kam beispielsweise bei der Reflex-Community zum Einsatz. Doch die Entscheidungsträger der Blackbox wollten diesen Weg nicht einschlagen, auch aufgrund hoher Lizenzkosten.

Also entwickelte die Firma Mediaclan, die 1998 den Betrieb der Blackbox übernommen hatte, ein eigenes System für das WWW. Im Herbst 1998 ging es als blackbox.net mit einem schwarz-grünen Spinnen-Logo online. Im selben Jahr kaufte übrigens Telenor den Provider Magnet, der auch eine First Class Community betrieben hatte.

Ende 1999 wurde der First Class Server der Blackbox stillgelegt, womit die darauf gespeicherten Daten verschwanden. Ein Teil der Nutzer machte den Umstieg zu blackbox.net nicht mit, zudem war die Konkurrenz der Plattformen im offenen Internet groß. Die Aktivität der Blackbox ließ nach. 2002 starteten die Wiener Grünen ein eigenes, proprietäres Intranet, was der Blackbox einen weiteren Abwanderungsschub und Einnahmenrückgang bescherte.

Baba und foits net

Mitte 2001 übernahm der Blackbox-Verein wieder den Betrieb. 2009/2010 konnte eine neue Website gestartet werden, doch wieder gingen die alten Inhalte verloren. Der aufwendige Betrieb der Mailboxen wurde ganz eingestellt. Zahlende Vereinsmitglieder konnten eine simple E-Mail-Weiterleitung nutzen. Auch das half nicht gerade, das Abgleiten in einen Dornröschenschlaf aufzuhalten.

Anfang September 2012 wurde das Ende der Blackbox verkündet: Am 30. November ist Schluss. Formell soll dies durch eine Hauptversammlung des Trägervereins am 10. November besiegelt werden. Mediaclan bietet an, E-Mails an die alten Blackbox-Adressen weiterzuleiten, wenn der Inhaber ein jährliches bestimmtes Projekt mit einer Spende unterstützt.

Abschiedsfeier

Die 20 Jahre werden aber noch kräftig gefeiert. Am Samstag, dem 10. November, sind alle Freunde der Blackbox in den Ost-Klub am Wiener Schwarzenbergplatz geladen. Der Eintritt ist frei. Los geht's um 20 Uhr, und es wird wohl in den 20. Geburtstag der Blackbox hineingefeiert. Der aus der Blackbox und FM4 bekannte Operator Burstup sorgt für die musikalische Untermalung. Ob auch die Tamara Hoffmann kommt? (Daniel AJ Sokolov, derStandard.at, 6.11.2012)