Frau mit Kind in stürmischen Zeiten, gebeutelt von Hurrikan "Isaac" und dem Ende einer Beziehung: Amy Seimetz und Fiona D'Avis im jüngsten Kurzfilm der Regisseurin, "When We Lived in Miami" (2012).

Foto: Viennale

Der Film setzt mit einem Bild ein, das man so schnell nicht vergisst. Der Kopf einer jungen Frau taucht von unten mit einem heftigen Luftschnappen ins Bild. Unmittelbar anschließend ringt sie mit einem Mann neben einem Auto auf schlammigem Boden. Crystal (Kate Lyn Sheil) und Leo (Kentucker Audley) sind auf der Flucht durch den brütend heißen Sunshine State Florida - in "Sun Don't Shine", dem ersten langen Kinofilm von Amy Seimetz. Weshalb und wovor sie fliehen, das entbirgt diese Arbeit Schritt für Schritt. Zuerst aber konzentriert sie sich auf ihre Protagonistin, "eine magische Kreatur" mit Mermaid-Faible und zugleich eine reale Frau in einer Ausnahmesituation.

STANDARD: "Sun Don't Shine" erzählt die Geschichte einer Flucht auf eine atmosphärisch dichte Weise, die nicht zuletzt mit dem Auseinanderdriften von Bild- und Tonebene arbeitet. Wie hat sich diese Struktur ergeben?

Amy Seimetz: Diese Ablösung von Bild und Ton, der immer wieder einsetzende Off-Dialog waren schon im Drehbuch vorgesehen. Ich habe mir dazu vorgestellt, dass sind die Gespräche, die die beiden im Bett führen. Der ganze Film geht ja auf einen Alptraum zurück, den ich hatte, und ich wollte, dass er sich wie eine außerkörperliche Erfahrung anfühlt. Ich habe noch keinen umgebracht, aber ich stelle mir vor, dass man sich danach so fühlt, in einem posttraumatischen Zustand der Verwirrung ist, wo Denken, Emotionen und die körperliche Erfahrung auseinanderdriften. Das sollte diese Form auch vermitteln.

STANDARD: Können Sie erklären, was es mit Weeki Wachee auf sich hat? Dieses alte Vergnügungsareal mit live dargebotenem Meerjungfrauen-Unterwasserballett war schon Gegenstand eines Dokumentarfilms, in "Sun Don't Shine" ist es ein Sehnsuchtsort Ihrer Protagonistin.

Seimetz: Ich bin praktisch nebenan aufgewachsen. Dieser Ort fasziniert mich in verschiedenster Hinsicht: Zum einen repräsentiert er eine sterbende Version von Florida - vor der Kommerzialisierung und vor Disneyland, vor dem Zuzug und der Umwandlung von Sumpfgebieten in Bauland. Die mit den Meerjungfrauen verbundene Idee von Transzendenz und Transformation, hat mir ebenfalls schon als Mädchen sehr gefallen - ich habe das als eine Form von Frauwerdung interpretiert und war fasziniert. Und es ist einfach einer der schönsten und eigenartigsten Orte, die ich kenne. Wahrscheinlich werde ich wieder dort drehen.

STANDARD: Haben Sie eigentlich ein Filmstudium absolviert?

Seimetz: Ich bin von der Filmschule abgegangen. Es war schlicht zu teuer, ich komme nicht aus reichem Haus. Außerdem haben uns die Professoren immer ermuntert, einfach zu drehen und zu lernen - weshalb sollte ich also im Klassenzimmer sitzen? Ich habe dann in Florida Literatur und Kunstgeschichte studiert, das hat nichts gekostet. Und ich habe ziemlich viel herumexperimentiert, kam in Kontakt mit Leuten von der CalArts und habe mir Dinge angeeignet, indem ich inoffiziell an Kursen teilgenommen habe.

STANDARD: Inzwischen bewegen Sie sich in einem stilistisch heterogenen Umfeld von Filmschaffenden, die vereint, dass sie unabhängig Filme produzieren.

Seimetz: Independent-Kino hat in den USA eine verwirrende Struktur: Es gibt viele Filme, die Millionen von Dollar kosten. Andere kosten eine halbe Million. Und dann gibt es noch die Leute, die für praktisch kein Geld Filme drehen, weil es einfach das ist, was sie interessiert. Irgendwie haben wir einander gefunden. Wir haben ähnliche Vorlieben, Temperamente, teilen diesen Geist, einfach rauszugehen und zu machen - das hat uns wohl angezogen.

STANDARD: Ihre Arbeiten werden hier in einem Special mit dem Titel "Five Women" gezeigt. Inwiefern spielt es für Sie eine Rolle, als Frau Filme zu machen?

Seimetz: Während der Arbeit denke ich nicht daran. Auch sonst versuche ich, nicht zu sehr daran zu denken, weil ich sonst so wütend werde und das macht mich unproduktiv. Es fehlt an interessanten Rollen für Frauen. Komplizierte Frauen, solche, die sich abmühen müssen, gute Frauen zu sein, ohne deshalb gleich Schurkinnen zu sein, verschwinden aus dem Kino. Das wird zur Genderfrage, weil es Frauen reduziert. Wenn man etwa an "A Woman Under The Influence" denkt oder an "Wanda" von Barbara Loden - man muss sich nicht unbedingt mit diesen Protagonistinnen identifizieren, aber solche explosiven Performances von Frauen zu sehen, das ist mir und auch Kate, für die ich die Rolle der Crystal geschrieben habe, wichtig. Ich wollte eine Frau als treibende Kraft - und zwar eine, die das Ding gleich in Grund und Boden treibt.

STANDARD: Sie sind weit weg in Wien während in den USA gewählt wird - wie fühlt sich das an?

Seimetz: Ziemlich seltsam. Ich würde mir wünschen, dass Obama gewinnt. Ich kann immer noch nicht glauben, welche Kämpfe wir plötzlich führen müssen. Es fühlt sich an, als wären wir wieder in den 1960er-Jahren, wenn ich argumentieren muss, warum ich selbst über meinen Körper entscheide. Oder die Frage der Krankenversicherung - ich habe am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn man sich um kranke Angehörige kümmern muss. Ich kenne das bestehende System verdammt gut, und keiner der beiden Kandidaten hat je eines dieser Formulare ausgefüllt, aber ich bin froh, dass Obama wenigstens versucht, das System zu standardisieren.

STANDARD: Sehen Sie auch, dass sich diese Stimmung in die Filme Ihres Umfelds überträgt?

Seimetz: Mir war bei "Sun Don't Shine" zum Beispiel wichtig, deutlich zu machen, dass das Paar kein Geld hat, sich aus seiner Lage nicht einfach freikaufen kann. Ich bin mir der politischen Situation sehr bewusst, aber ich lege das nicht vordergründig um. Auch mein nächstes Projekt wird mit den wirtschaftlichen Problemen in den USA zu tun haben - allerdings auf hoffentlich auch irgendwie unterhaltsame Weise. Es ist schwierig, ich glaube, noch sind alle durcheinander und schockstarr über das, was in den letzten zehn Jahren in den und im Namen der USA passiert ist. Ich glaube, in der nächsten Zeit wird das verstärkt in Filmen Niederschlag finden. Noch sind wir in einer Phase der Verarbeitung. (Isabella Reicher, Spezial, DER STANDARD, 6.11.2012)