Der vorgelegte Entwurf einer gesetzlichen Neuregelung des Familienrechts enthält zweifelsohne einige positive Neuerungen. Wie etwa die Definition des Kindeswohls, die Wohnsitzregelung sowie Änderungen beim Namensrecht, um nur einige Beispiele zu nennen. Größter Kritikpunkt bleibt allerdings, ungeachtet des ministeriellen Eigenlobs, die neue Regelung zur gemeinsamen Obsorge.

Eine automatische gemeinsame Obsorge nach einer Trennung ist eine alte und nach wie vor aktuelle Forderung von sogenannten "Väterrechtlern", wie unter anderem der an dieser Stelle publizierte Kommentar von Anton Pototschnig ("Täter-Väter und Opfer-Mütter", DER STANDARD, 20.10.) in Erinnerung gerufen hat.

Aus frauenrechtlicher Perspektive wurden gegen diesen Automatismus immer wieder schwerste Bedenken geäußert. Denn: Wenn sich Elternteile einig sind, brauchen sie weder Urteil noch Gericht. Bei Uneinigkeit und Konflikten ist es jedoch für alle Beteiligten besser, wenn eine/r allein verantwortlich ist. Gerade Kinder und Jugendliche brauchen eine klare Orientierung, wer Entscheidungen trifft.

Der Automatismus bei der gemeinsamen Obsorge wurde nun im aktuellen Entwurf durch die Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung der gemeinsamen Obsorge ersetzt. Diese gerichtliche Verfügung soll im Konfliktfall auch gegen den Willen eines Elternteils durchgesetzt werden. Inwiefern sich das allerdings positiv auf das Kindeswohl auswirkt, ist fragwürdig: Hier geht es nicht um vermeintliche "Täter-Väter und Opfer-Mütter", wie Pototschnig glaubhaft machen möchte. Die strikte Ablehnung der Automatik in der Obsorgeregelung ist vielmehr auf die Befürchtung zurückzuführen, dass es dadurch zu einer Verschärfung der ohnehin schon schwierigen Situation nach Trennungskonflikten kommt - was mit einer immensen psychischen Belastung von Kindern wie auch Eltern einhergeht.

Tatsächlich war es die Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wie Pototschnig richtig bemerkt, die zu dieser Familienrechtsreform führte. Was Pototschnig jedoch nicht erwähnt, ist, dass eine so weitgehende Ermöglichung der gemeinsamen Obsorge auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des EGMR gar nicht erforderlich wäre.

Diese Rechtsprechung fordert nämlich lediglich die Möglichkeit für nicht verheiratete Väter ein, das ursprüngliche alleinige Sorgerecht der Mutter eines unehelichen Kindes gerichtlich überprüfen zu lassen. Dass die Verurteilung der Höchstgerichte unweigerlich zur Regelung der automatischen gemeinsamen Obsorge nach Trennungen führen muss, ist wohl eher ein Wunschdenken des Väterrechtlers als juristische Realität. (Christa Pölzlbauer, DER STANDARD, 5.11.2012)