Indem das Gehirn in einem willentlichen Prozess veraltete, irrelevante Informationen ausblendet und durch neue ersetzt, kann es Kapazitäten freistellen und dadurch seine Leistungsfähigkeit optimieren.

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Konstanz - In einer aktuellen Studie konnten der Psychologe Simon Hanslmayr vom Zukunftskolleg der Universität Konstanz und Karl-Heinz Bäuml von der Uni Regensburg die Steuerungsprozesse des Gehirns nachweisen, mit denen das Gedächtnis willentlich irrelevante Informationen ausblendet und durch neue Informationen ersetzt. Die Forschungsergebnisse wurden nun im Fachmagazin "The Journal of Neuroscience" veröffentlicht. 

"In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Vergessen eher als ein Nachteil begriffen, eben als eine Beeinträchtigung, wenn das Gedächtnis nicht richtig funktioniert. Tatsächlich ist das Vergessen aber manchmal ein sehr hilfreicher Prozess", ist Simon Hanslmayr überzeugt. Etwa wenn Informationen, die wir uns gemerkt haben, veraltet oder nicht mehr relevant sind, wäre es wenig sinnvoll, diese Erinnerungen mit uns zu tragen: Zum Beispiel alte Adressen, vergangene Termine, in manchen Fällen auch psychisch belastende Erinnerungen.

"Man muss sich nur vorstellen, wie viel Informationen im Laufe eines Lebens, ja schon im Laufe einer Woche im Gehirn angesammelt werden", gibt Hanslmayr zu bedenken. Indem das Gehirn in einem willentlichen Prozess veraltete, irrelevante Informationen ausblendet und durch neue ersetzt, kann es Kapazitäten freistellen und dadurch seine Leistungsfähigkeit optimieren.

Akt des Vergessen

In der Studie wurden Versuchspersonen aufgefordert, zuvor eingeprägte Informationen durch neue zu ersetzen - also irrelevante Informationen willentlich zu vergessen und durch aktuellere Inhalte auszutauschen. Über Kernspintomographie und Elektroenzephalografie (EEG) wurden währenddessen die Gehirnprozesse gemessen.

Wie die Forscher beobachteten, steigt beim Akt des Vergessens der Sauerstoffverbrauch im linken präfrontalen Kortex an - einer Gehirnregion, die als Steuerzentrale des Gehirns gilt und eine wichtige Rolle bei der Handlungsregulation, aber auch beim Unterdrücken von Informationen spielt.

Zugleich registrierten die Forscher einen Rückgang der Synchronisation elektrischer Signale zwischen Neuronengruppen. Diese Synchronisation von Neuronengruppen bildet im Gehirn die Grundlage, um Informationen zwischen weitverbreiteten Zellverbänden auszutauschen.

Hanslmayr und Bäuml überprüften die auffällige Korrelation zwischen der erhöhten Aktivität des linken präfrontalen Kortex und der reduzierten neuronalen Synchronisation.

Über eine elektro-magnetische Stimulierung des präfrontalen Kortex konnten sie einen direkten Zusammenhang nachweisen: Der Präfrontalkortex reguliert in willentlichen Vergessensprozessen die neuronale Synchronisation des Gehirns herunter, was bei den Versuchspersonen zu einem ausgeprägteren Vergessen führte. Die Forscher konnten somit in dem Zusammenspiel zwischen Präfrontalkortex und neuronaler Synchronisation die grundlegenden Steuerungsprozesse ausfindig machen, mit denen das Gehirn willentliches Vergessen reguliert. (red, derStandard.at, 2.11.2012)