Niemand legt sich freiwillig in ein fensterloses Zimmer, um dort mit einem fremden Menschen intim zu werden, und zahlt dafür 80 Euro pro Tag. Es ist eine Illusion vieler Freier und ein Märchen vieler Bordellbetreiber, dass Frauen Freude an der Sexarbeit hätten, wenn nur die Gesetze liberaler wären. Am Anfang eines solchen Szenarios steht meist eine Kette aus Verzweiflung, Erniedrigung und sexuellem Missbrauch.

Prostitution wird nicht verschwinden oder moralisch vertretbarer, weil die Politik auf Zuruf der Anrainer die Bedingungen verschärft. Es ist bigott zu argumentieren, ein neues Gesetz würde die hygienischen Bedingungen der Frauen verbessern, wenn sie gleichzeitig am Stadtrand auf einem Lkw-Parkplatz ihr Geschäft verrichten müssen. Ganz zu schweigen von der Sicherheit: Einige "Vorzeigebordelle" mit Genehmigung gehören vorbestraften Rotlichtgrößen - und selbst die Polizei räumt ein, dass sie gegen Strohmänner als Laufhausbetreiber machtlos ist.

Mit ihrem halbherzigen Kompromiss, Prostitution zwar zu dulden, die blinden Flecken aber zu ignorieren, begünstigt die Politik die Gefahren für die Frauen. Selbst die Aufhebung der Sittenwidrigkeit hat sich nicht auf die rechtliche Situation ausgewirkt: Freier zahlen hundert Euro Strafe; die Frauen, die in dieser erniedrigenden Situation gefangen sind, ein Vielfaches davon. Es ist eine feige und für ein Land wie Österreich unwürdige Haltung. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 31.10.2012)