Als Deutschlehrerin unterrichte ich seit längerem in verschiedenen Ländern Europas, bin auch als Sprachwissenschaftlerin für Forschungsprojekte viel unterwegs. Aus dieser Perspektive heraus möchte ich an Hand eines persönlichen Erlebnisses kurz zur unterschiedlichen Bewertung und Wahrnehmung von Fremdsprachen Stellung nehmen.

Mehrklassen-Sprachen?

Mittag an einem belebten Einkaufssamstag. Vier oder fünf Frauen afrikanischer Herkunft mit rund zehn Kindern wollen im McDonald's bestellen. Sie schreien (so hört es sich für meine Ohren an) und diskutieren sehr lautstark, teilweise quer durch den Raum. Die Blicke der anderen Lokalgäste schweifen immer wieder über die Frauen und die große Kindergruppe. Man könnte fast sagen, nicht sehr wohlwollende Blicke. Die Sprache scheint nicht bekannt, und die Worte hämmern einem gleichsam ins Ohr. Tja, warum sprechen die denn nicht mal ordentlich, so dass man sie verstehen kann?

Hier sind wir dann auch schon bei dem Dilemma angekommen, das nicht nur Wien und nicht nur Österreich betrifft. Ohne näher auf sozioökonomische Aspekte einzugehen, möchte ich besonders auf den Wert und Unwert von Sprachen verweisen. Wie kommt es, dass bei bestimmten Muttersprachen in der Öffentlichkeit die Nase gerümpft wird? Das Naserümpfen betrifft nicht Englisch, Französisch, meist auch nicht Spanisch, Italienisch oder Japanisch. Nein, es sind die Sprachen mit geringem Kapital (frei nach Bourdieu), die in den Augen vieler Menschen nur eine Existenzberechtigung im Privatraum der jeweiligen Familien haben (wenn überhaupt). McDonald's ist damit also in gewissem Sinne ausgeschlossen ...

Bildungsbürgerlicher Fremdsprachenkanon

Besonders deutlich wird das im Ausbildungssystem, denn Schulen in Österreich sind einem bildungsbürgerlichen Fremdsprachenkanon verpflichtet. Abgesehen von den "toten" Sprachen, die immer noch einen großen Stellenwert genießen, sind es allen voran Englisch und danach weit abgeschlagen Französisch, Spanisch und Italienisch, vielleicht auch noch Russisch oder Chinesisch, die in den Schulen eine quantitative Rolle spielen. Für diese Sprachen hat man Lehrer (erstens) und die Sprachen werden aus ökonomischen oder historischen Gesichtspunkten für wichtig erachtet (zweitens).

Neben Latein und Französisch auch Türkisch und Kroatisch 

Eine übergeordnete pädagogische Aufgabe der Schule ist die Förderung der SchülerInnen in ihrem Demokratiebewusstsein. Demokratie kann jedoch nur wachsen, wenn sich alle SprecherInnen in ihren Sprachen ernst genommen fühlen. Demokratie innerhalb der Fremdsprachen an Schulen kann bedeuten, mehr und andere Sprachen als bisher flächendeckend anzubieten. Diese "anderen" Sprachen sollten jedoch auch auf eine Art und Weise angeboten werden, dass sie demokratisch von allen SchülerInnen gewählt werden können.

Denn ein Türkischunterricht (hier nur als Beispiel, jede andere nicht im Fremdsprachenkanon unterrichtete Sprache kann hier eingesetzt werden), der dann nur von dieser Gruppe zugehörigen SprecherInnen besucht wird, die mindestens Grundkenntnisse darin besitzen, gibt allen anderen SchülerInnen ohne diesen Hintergrund nicht die Chance, mitzuhalten oder ganz einfach mitmachen zu wollen.

Das Plädoyer lautet also: Her mit mehr Sprachenauswahl an Schulen, aber her damit auf eine besonnene Art und Weise, so dass alle davon profitieren können! Dadurch können sicherlich die beunruhigten und nicht wohlwollende Blicke reduziert werden, denn: Sprachen öffnen Türen zur Welt.

PS: Wer bei meiner Schilderung im ersten Absatz an Österreich gedacht hat, sei in gewisser Weise beruhigt. Diese Beobachtung machte ich in einem sich selbst als sehr tolerant und demokratiebewusst beschreibenden skandinavischen Land. Europa bedeutet eben nicht nur gemeinsame Chancen, sondern auch gemeinsame und sehr ähnliche Probleme und Herausforderungen. (Tatjana Atanasoska, Leserkommentar, derStandard.at, 31.10.2012)