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Dokumentarist, der zunehmend in Gallerien abwandert: "Weiche Montagen", eine Harun-Farocki-Arbeit im Kunsthaus Bregenz.

Foto: EPA/REGINA KUEHNE

Die letzte Documenta begleitete der katalanische Filmemacher Albert Serra filmisch fast in Seifenopermanier. Viele Künstler wie Chantal Akerman, Harun Farocki oder Ulrike Ottinger produzieren mittlerweile neben ihren Kinoarbeiten auch für den Ausstellungsbereich. Jenseits des Mainstreams verzahnen sich Kunst und Filmwelten zunehmend. Und wie etwa das Theater (Rimini Protokoll) arbeiten auch bildende Künstler immer öfter mit Materialien, die direkt der gesellschaftlichen Lebenswelt außerhalb der Kunst entnommen sind.

An solches Grenzgängertum knüpft die Dokumentarfilminitiative Nordrhein-Westfalen (dfi) mit ihrer diesjährigen Herbsttagung in Köln an, die sich den Dokumentarischen Verfahren in der Kunst widmete. Ein scheinbar einfaches Thema, dessen Formulierung und Sujet sich bei weiterem Nachdenken als durchaus vertrackt erweisen. Denn was sind - jenseits der Recherche - überhaupt "dokumentarische Verfahren"? Und was ist - jenseits des institutionellen Betriebs - die Kunst?

Fehlende begriffliche Klärung und eine unglücklich zu Beginn platzierte installative Auftragsarbeit der Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken (Opel. Eine Suche nach Zukunft, 2011) führten zu beflissener Filmemacherschelte und einer anfänglichen Fixierung der Debatte auf den Kontrast zwischen "naivem" Dokumentarfilm und avanciert selbstreflexivem Kunstschaffen - in der speziellen Verkörperung installativer Formen, wie sie seit den 1970ern auf den Kunstmarkt drängen: Zeit- vs. Raumkonzept, Linearität vs. Collage, Konzentration vs. Zerstreuung, Führung vs. Freiheit heißen die Stichworte, die die unterschiedliche ästhetische Erfahrung in Kino und Galerie/Museum bündeln. Auch praktisch ist die Kunst für Filmemacher, die ihre Arbeiten nicht mehr in TV-Dramaturgien pressen möchten, eine Alternative.

Kontrolle und Selbstausdruck

Dass es auch bei traditionell dokumentarischen Arbeiten durchaus gelungene Ansätze gibt, eigene Darstellungsstrategien selbstreflexiv mit zu inszenieren, blieb auch im Eröffnungsvortrag von Katrin Mundt unerwähnt, einem ansonsten breit angelegten und anspielungsreichen Streifzug durch das "Dokumentarische in der Kunst seit den1990er-Jahren" , der sich von Hito Steyerls schönem Begriff der "dokumentarischen Unschärferelation" bis zu einer kritischen Rehabilitierung des Reenactments aus dem Geiste Hannah Arendts vorarbeitete. Deutlich gemacht wurde die Dialektik vom Dokument als Mittel staatlicher Kontrolle und Selbstausdruck ("Nur wer dokumentiert ist, ist sichtbar und wird gehört").

Das auch das Kuratieren eine "dokumentarisches Verfahren" ist, zeigte Barbara Engelbach, Kuratorin für Fotografie, Film und Video am Kölner Museum Ludwig, am Beispiel dreier an unterschiedlichen Logiken (Diagramm, Archiv, Choreografie) ausgerichteten Ausstellungen zu Filmemachern in ihrem Haus (Harun Farocki, Jonas Mekas, Yvonne Rainer). Oder wäre vielleicht doch der Begriff Fiktionalisierungsverfahren nützlicher, den der Videokünstler (und Düsseldorfer Kunstakademieprofessor) Marcel Odenbach ins Gespräch brachte?

Zur wirklichen Debatte kam es nach der ersten Erregung nicht mehr. Merkwürdig unausgesprochen blieben auch die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Produktion von Dokumentarfilm und Kunst stattfindet. Denn Letztere scheint mit ihren Stipendien und Preisen auch finanziell Fluchtort mancher Dokumentaristen, deren Projekte über Förderwege nicht mehr zu stemmen sind. Reich werden dürften Filmer auch im Kunstmarkt kaum.

Doch wie Dietrich Leder von der Kölner Kunsthochschule für Medien es auf den Punkt brachte: Das symbolische Geld der Kunst übersteigt das reale von TV-Kino bei weitem - und, so sei hinzugefügt, endet im besten Fall in einer Professur. (Silvia Hallensleben, DER STANDARD, 30.10.2012)