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Die Lust an schnellen Lösungen lockt: So geht es nicht.

Foto: APA/Neubauer

Mittwoch, 10 Uhr. Die Kinder sitzen auf dem Boden, bilden einen Kreis. Sprechen über ihre Sorgen, Freuden, Ängste.

Miriam meldet sich: "Sascha hat unsere Schultaschen ausgeleert und mit Sachen herumgeschossen."

Sarah und Beate bestätigen sofort: "Ja, das war voll arg, wir waren auch dabei."

Alle haben's miterlebt. 

Die Lust an schnellen Lösungen lockt: So geht es nicht. Ab in die Direktion, dort gibt's eine Standpauke, vielleicht ein Elterngespräch, und wenn das nicht endlich aufhört mit dir, müssen wir uns überlegen, was wir tun.

Hier, in der 3A, läuft es anders. Hier wird keiner vorschnell verurteilt, an den Pranger gestellt. Besonnen ist sie, die Lehrerin, wird still, tritt zurück. Um die Kinder vorsichtig anzuregen zu reflektieren. Auch über sich selbst.

Wann "das Verbrechen" denn stattgefunden hat, will sie wissen.

"Vor zwei Wochen", lautet die Antwort. "Aha, vor zwei Wochen."

Still ist es, in diesem Moment. Die Gruppe wirkt betroffen.

"Okay, das ist eine Zeit lang her. Schade, dass ich erst jetzt davon erfahre."

Und sie will wissen: "Wie habt ihr denn reagiert, als Sascha mit den Sachen herumgeschossen hat?"

Die Kinder sind sich einig: "Na ja, wir haben gelacht, und ja, wir haben's auch irgendwie lustig gefunden."

Alle haben gelacht. Alle haben es lustig gefunden.

"Okay, ich verstehe, dass es Spaß macht, wenn endlich mal was los ist. Auch ich hab das gern. Aber wir sollten überlegen, was wir Sascha vermitteln, wenn wir lachen. Was es auslöst, wenn wir lachen."

"Na ja, wir bestärken ihn, dass er weitermacht."

Ja, wir haben Sascha bestärkt. Sicher nicht absichtlich, niemand wird verurteilt, aber es ist eben passiert.

Und dann wird das Thema verallgemeinert. Die Klasse spricht, darüber, dass jeder von uns mitunter Dinge tut, die andere verwundern, anderen Angst machen. Miriam (!) meldet sich: "Ich hab mal zu Hause gegen die Tür getreten." Danke, Miriam, danke, dass du uns davon erzählst. Die Freude der Lehrerin erfüllt den Raum.

Und dann überlegen sie, alle gemeinsam, was wichtig ist. Fürs nächste Mal. Wenn uns wieder etwas gegen den Strich geht. 

Es ist wichtig, dass wir selbst unsere Grenze spüren und dem Gegenüber spürbar machen. Dass wir Stopp sagen, wenn wir Stopp meinen.

Wie das geht? Kommt, wir versuchen's gleich mal. Jeder überlegt, wie er das sagen würde, so dass es für ihn passt. Und jeder von uns probiert's gleich mal aus. Und wenn es nichts nützt? Dann handeln wir, holen wir Hilfe. Suchen das Gespräch mit der Lehrerin.

Ergo:

Klar geht es nicht an, dass SchülerInnen mit Schulsachen herumschmeißen. Wenn wir aber humane Schule leben wollen, müssen wir wenigstens ein bisschen bemüht sein, die Perspektive zu wechseln. Alle Wahrheiten zu sehen. Und die Gruppe dafür sensibilisieren, dass jeder für jeden ein bisschen Verantwortung hat. Damit aus der Gruppe eine Gemeinschaft werden kann. (Andrea Vanek-Gullner, derStandard.at, 29.10.2012)