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Schatten über Premier Wen Jiabao: Die Enthüllungen vor dem Parteitag verstärken den Unmut in der Bevölkerung.

Foto: REUTERS/Shannon Stapleton/Files

Die Familie von Chinas Premier Wen Jiabao lässt Vorwürfe der New York Times (NYT) nicht auf sich sitzen, in der Amtszeit des chinesischen Politikers ein Milliardenvermögen angehäuft zu haben. 24 Stunden, nachdem die einflussreiche US-Zeitung ihren spektakulären Bericht veröffentlicht hatte, der Wens Mutter, Frau und Kindern Vorteilnahme unterstellt, wiesen von der Familie beauftragte Pekinger Anwälte die Anschuldigungen als "unwahr" zurück.

Die NYT hatte am Freitag unter Berufung auf ihre Recherchen berichtet, dass Verwandte des Premiers Firmen- und Vermögensanteile im Umfang von umgerechnet 2,1 Milliarden Euro besitzen würden. Sie sollen sie vor allem von 1998 an erworben haben. Damals kam Wen als Vizepremier und 2003 als Ministerpräsident in seine Ämter.

"Die sogenannten versteckten Reichtümer bei den Mitgliedern der Familie Wen Jiabao gibt es nicht", heißt es nun in einer autorisierten Stellungnahme von zwei der größten Anwaltskanzleien Chinas. Ihr Sechs-Punkte-Statement druckte Hongkongs South China Morning Post am Sonntag exklusiv. Die Anwälte Bai Tao als Vertreterin der Kanzlei Jun He und Wang Weidong für die "Grandall Law Firm" behalten sich weitere juristische Schritte gegen die New York Times vor.

Zehn Tage vor Beginn eines richtungsweisenden Parteitags in Peking, auf dem ein Generationenwechsel der Führung des Landes für die nächsten zehn Jahre beschlossen wird, spitzt sich die politische Auseinandersetzung um den künftigen Kurs nun auch auf einem neuen Feld zu. Mit Wen wehrt sich zum ersten Mal in der Geschichte der Volksrepublik ein chinesischer Führer juristisch gegen seine "Verleumdung" in einem ausländischen Medium.

Falls es zu einer Klage vor Gericht kommt, müssten beide Seiten ihre Karten zur Vermögensfrage offenlegen - ein unerhörter Präzedenzfall für Chinas Führung. Ohne noch Details zu kennen, begrüßte der bekannte kritische Anwalt Pu Zhiqiang die Entwicklung. Wenn Chinas Führer sich über solche Fragen gerichtlich auseinandersetzten, "wäre das die richtige Methode und ein Zeichen für Normalität". Eigentlich sollte Offenheit über Vermögensverhältnisse längst Standard sein.

"Nie anderes Einkommen"

Die Anwälte der Wen-Familie erklärten, es sei "unwahr", dass die 90-jährige Mutter des Premiers Reichtümer besitze. Die New York Times schrieb, dass diese schon 2007 Aktienpakete des Versicherungskonzerns Ping An im Wert von 120 Mio. US-Dollar besessen habe. Die einstige Schullehrerin habe in Wirklichkeit außer ihrem staatlichen Lohn und ihrer gesetzlichen Rente "niemals ein anderes Einkommen oder Eigentum gehabt". Ebenfalls betrieben "nur einige" der Familienmitglieder Wirtschaftsgeschäfte. "Sie sind aber keine Anteilseigner von Firmen oder handeln illegal." Premier Wen habe keinen Einfluss auf ihre Aktivitäten genommen.

Die Enthüllungen verstärken die in der Gesellschaft weitverbreitete Annahme gigantischer Korruption, Vetternwirtschaft und Doppelmoral unter höchsten chinesischen Politikern. Bereits Ende Juni hatte die Wirtschaftsagentur Bloomberg ähnliche Vorwürfe gegen die Familie des designierten künftigen Parteichefs Chinas, Xi Jinping, enthüllt.

Die Skandalmeldungen um Premier Wen haben auch Spekulationen über Machtintrigen ausgelöst. Vermutungen wurden laut, dass die Informationen Journalisten zugespielt sein könnten, als Racheaktion von Anhängern des entmachteten Politbürofunktionärs Bo Xilai. Dieser muss sich wegen Korruption und Machtmissbrauchs vor Gericht verantworten. Am Freitag hatte Chinas Parlament seine Immunität aufgehoben, die letzte Hürde vor dem Strafprozess. Bo wurde dann von der Staatsanwaltschaft verhaftet. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 29.10.2012)