Wien - Liebe deinen Nächsten war früher. Heute gilt: Verlier kein Geld. In einer ekstatischen Moralpredigt inszeniert die Performancegruppe Toxic Dreams in Zusammenarbeit mit brut Wien die Erfolgsstory von Warren Buffett, dem drittreichsten Mann der Welt. Damit trifft The Church of Warren Buffett den Zeitgeist einer krisengeschüttelten Ära und vermittelt eine Art Quintessenz des wirtschaftlichen Erfolgs.

Kulisse bildet das Gschwandner im 17. Wiener Gemeindebezirk: Der Zuschauerblick schweift entlang hoher Decken und bröckeligen Stucks und stößt zuletzt auf Kirchenbänke, kapitalistischen Gospel und einen Messias im Anzug. Irgendwo zwischen Aktionärsvollversammlung und heiliger Messe wird das Publikum Zeuge einer Retrospektive eines geglückten amerikanischen Traumes und der daraus resultierenden Lektionen. Warren Buffett gibt wie ein Onkel Dagobert jede Menge hilfreicher Tipps und Tricks, darunter zehn Gebote zum Reichtum ("Never lose money") und metaphorisch aufgeladene Schneeballkugel-Strategien (" The important thing is to find wet snow and a really long hill").

In Geschäftssinn übte sich Warren Buffett früh: Sein erstes Geld verdiente er, indem er Coca-Cola-Sixpacks kaufte und die einzelnen Dosen teurer weiter verkaufte. Im Alter von elf Jahren erwarb der Junge seine ersten drei Aktien. Heute ist der Knirps ein Milliardär. Mit seiner Kapitalgesellschaft Berkshire Hathaway gehören dem amerikanischen Großinvestor Anteile an Coca-Cola, Gillette, Times Warner und Disney.

Kommentare zum Kapitalismus werden in dem Moment interessant, in dem höhnendes Anprangern und platte Verurteilungen aufhören. Die Verkettung von Kapitalismus und Religion erzeugt in der Rede so auch eher satirisches Augenzwinkern. Denn des Meisters kluge Sprüche steigern sich nicht zum entgeisterten "Eat the capitalists!", sondern werden von einem ironischen "Hallelujah!" kommentierend begleitet.

Die Predigt zieht sich in die Länge, doch der Coup gelingt: Mit Tony Torn als Buffett, Anna Mendelssohn in der Rolle des Zeremonienmeisters und einem wohltemperierten Ensemble zeichnet Regisseur Yosi Wanunu das Allzumenschliche Porträt eines Übermenschen.    (Kristina Kirova, DER STANDARD, 27./28.10.2012)