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Ein Schelm, der Böses denkt: "Die Ergebnisse sind glaubwürdig!" steht auf diesem Wahlplakat der regierenden Partei der Regionen von Präsident Wiktor Janukowitsch.

Foto: dapd/Chuzavkov

Die Wähler sind unzufrieden, vertrauen aber auch der Opposition nicht.

 

Die Marienkäfer interessieren sich nicht für den Wahlkampf. Träge von der herbstlichen Kühle krabbeln sie auf einer der rotbraunen Bänke auf dem Kiewer Taras-Schew tschenko-Prospekt entlang. Nebenan, vor einem blau-gelben Zelt, teilen Aktivisten der regierenden Partei der Regionen geschäftig Werbezettel aus. Die Käfer juckt es nicht, die meisten Passanten freilich auch nicht.

"In der Bevölkerung herrscht Apathie gegenüber den politischen Parteien und ihren Versprechen", sagt die Politikwissenschafterin Swetlana Konontschuk vom Kiewer Zentrum für unabhängige politische Forschung. Jüngsten soziologischen Erhebungen nach sind immerhin 27 Prozent der Wähler davon überzeugt, dass sich nach der Parlamentswahl am Sonntag ohnehin nichts ändern wird.

Dabei gilt die Wahl als richtungsweisend für die Ukraine. Nachdem die Bevölkerung - tief enttäuscht von den Ergebnissen der Orangen Revolution - 2010 mit Wiktor Janukowitsch einen Vertreter des Kutschma-Clans (Leonid Kutschma war von 1994 bis 2004 Präsident) wieder an die Macht zurückbrachte, deutet nun einiges darauf hin, dass das Pendel zurückschlagen könnte.

Zwar führt die Partei der Regionen in jüngsten Umfragen mit etwa 30 Prozent der Stimmen. Ihr Koalitionspartner, die Kommunisten, könnten etwas mehr als zehn Prozent holen. Doch die Opposition kommt auf etwa genauso viele Stimmen. Neben der "Vereinigten Opposition" um die Vaterlandspartei der inhaftierten Julia Timoschenko holt speziell die liberale Partei Udar des Boxers Witali Klitschko kontinuierlich in Umfragen auf. Beide Parteien kommen auf etwa 20 Prozent. Damit liegen die verfeindeten Lager circa gleichauf.

Während die Partei Unsere Ukraine von Expräsident Wiktor Juschtschenko keine Rolle mehr spielt, droht in dem sich abzeichnenden Patt ausgerechnet die nationalistische Partei Swoboda zum Zünglein an der Waage zu werden. Mit antirussischen und antisemitischen Hetzparolen scheint Swoboda tatsächlich den Sprung ins Parlament zu schaffen. In Umfragen liegt sie bei gut sechs Prozent. Welche Rolle die Partei, zu der alle Gegner gleichermaßen auf Distanz gehen, nach der Wahl spielen wird, ist noch unklar.

Kampf um Direktmandate

Das Patt könnte zudem durch die zu vergebenen Direktmandate aufgelöst werden, weshalb der Kampf darum mit besonderer Intensität und Härte geführt wird. Beobachter berichten gerade in kleineren Wahlkreisen von zahlreichen Verstößen wie Wählerkauf oder administativem Druck.

Im Kampf um die Direktmandate mischen laut Konontschuk auch die ukrainischen Oligarchen kräftig mit, die auf diese Weise eigene Interessenvertreter in die Rada (Parlament) beordern. Neben dem ohnehin Janukowitsch nahestehenden reichsten Ukrainer Rinat Achmetow gelten auch Kutschmas Schwiegersohn, Milliardär Wiktor Pintschuk, und Medientycoon Igor Kolomoiski als politisch ambitioniert.

Um ihre Chancen zu erhöhen, haben die Vereinigte Opposition und Udar vor der Wahl Absprachen getroffen, in einer Reihe von Wahlkreisen zugunsten der jeweils anderen Partei auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten. Allerdings kritisierte Klitschko bereits, dass das Abkommen von der Gegenseite nur unzureichend erfüllt werde.

Eines der wichtigsten Wahlkampfthemen, neben der grassierenden Korruption im Land, ist das Schicksal von Julia Timoschenko. Die Expremierministerin darf zwar offiziell nicht an den Wahlen teilnehmen, schwebt aber quasi omnipräsent über dem gesamten Wahlkampf.

Verfolgte Timoschenko

Ob der Opposition die Akzentuierung des Themas bekommt, muss sich allerdings noch erweisen. Laut Konontschuk sieht zwar die Mehrheit der Ukrainer ihre Verfolgung als politisch motiviert an. "Doch während Europa die selektive Anwendung des Rechts, die zur Ausschaltung politischer Konkurrenz dient, beunruhigt, so meint das Volk, obwohl es selbst unter dem schwachen Rechtsstaat leidet, dass die Mehrheit der Politiker eine Strafe verdient hat", sagt Konontschuk. Das Mitleid mit Timoschenko hält sich bei den meisten Ukrainern in Grenzen. (André Ballin aus Moskau /DER STANDARD, 27.10.2012)