"Hin und wieder muss ein Abzug gedrückt werden!" - Noch ist James Bond (Daniel Craig) nicht reif für den Ruhestand.

Foto: Sony Pictures

Regisseur Sam Mendes hat einen soliden Agententhriller inszeniert, der sich geschichtsbewusst und gegenwartsbezogen zugleich gibt.

Wien - Seit 50 Jahren mordet James Bond im Auftrag Ihrer Majestät auf der Leinwand. Es ist nicht gerade so, als wären die Jahre spurlos an ihm vorbeigegangen. Die Welt ist bekanntlich nicht mehr die gleiche wie 1962, als es 007 nach Jamaika zu einem gewissen Dr. Julius No verschlug. In der nicht länger bipolaren Welt leidet Bond zunehmend an einem Legitimationsproblem. Die Marke wurde mehrmals rundum erneuert; mit Daniel Craig bekam sie 2006 einen zeitgenössischen Look, der das Physische wieder mehr ins Zentrum rückte und Gegenspieler nach neuen Bedrohungsszenarien ausrichtete. Aber wie viel Bond blieb damit noch in Bond erhalten?

Skyfall, der 23. Film der Agentenreihe, stellt sich diese Frage gleich in mehrerer Hinsicht. Direkter als in jedem Abenteuer davor lenkt dieser von Sam Mendes (American Beauty, Revolutionary Road) inszenierte Thriller das Augenmerk auf das innere Selbstverständnis des MI6. Ist ein Agentengeschwader, das mit trägen Körpern gegen zunehmend immaterielle Feinde vorgehen muss, überhaupt noch zeitgemäß? Agiert M (Judi Dench), die Obermutti der Truppe, mit ihrer Mischung aus Eigensinnigkeit und Loyalität nicht wider die Interessen des Staates? Und entspricht Bond, von dessen privater Vorgeschichte hier mehr denn je gelüftet wird, eigentlich modernen Anforderungen?

Erste Zweifel darüber streut Skyfall bereits in der variantenreichen Eröffnungssequenz, in der Bond eine entwendete Festplatte sicherstellen soll, welche die Identitäten internationaler Agenten enthält, und dabei ins Visier der eigenen Leute gerät. Später wird das Hauptquartier und insbesondere M zum Ziel von (Cyber-)Terrorattacken. Ein physisch herausgeforderter Bond - sein Briefing erhält er während der Fitnessrunde - steht hier, stellvertretend für die ganze Institution, unter Beweislast. Jeder seiner nachfolgenden Schritte wird zum Eignungstest, der messen soll, ob die Institution und ihre besten Pferde noch effizient erscheinen.

Dem seriengemäßen Abspulen von Standardsituationen verleiht diese übergeordnete Krise ein höheres Maß an Realität (natürlich immer gemessen in fantastischen Bond-Einheiten). Elegant beispielsweise (und vergleichsweise reduziert) setzt Mendes eine Szene in einem gläsernen Hochhaus in Schanghai um, bei der eine tödliche Konfrontation letzthin die geringere Rolle spielt als die Suspense-geladene Pirsch samt Lichtreflexionen auf Glas, die dieser vorausgeht (Kamera: Roger Deakins). Dass Craigs Bond mitunter die Kräfte schwinden; dass er mit seiner Abgebrühtheit, seiner Geschichte punktet, all dies macht ihn nicht eben menschlicher, aber immerhin zum sympathischen Oldtimer neben Nachwuchsnerds wie dem neuen Q (Ben Wishaw).

Vaterland vs. Privateinkunft

Auf einer anderen Ebene sucht Skyfall allerdings sehr wohl wieder die Anbindung an ein gegenwärtiges Blockbuster-Kino. Denn der innerste Konflikt des Films wird wie bei einer Comicverfilmung nun zur allzu persönlichen Sache. Javier Bardems Bösewicht Raoul Silva ist ein ehemaliger MI6-Kollege Bonds und damit ein dunkles Alter Ego, das den Dienst fürs Vaterland gegen Privateinkünfte getauscht hat. Sein manieriertes, homoerotisches Gehabe, auch seine tiefenpsychologischen Defekte sind an einschlägigen Superhelden-Gegenspielern geschult. Dies wirkt, bei aller Bardem'schen Spielfreude, doch etwas deplatziert.

Ähnlich verhält es sich mit der epischen Form des Films, die sich knapp unter zweieinhalb Stunden erstreckt und mehrere Finali aneinanderreiht. Silva erscheint als Mastermind, das nach jedem As ein weiteres aus dem Ärmel zieht. Mit solchen Einlagen nimmt Mendes mehr als einmal Anleihen bei Christopher Nolans Dark Knight-Reihe. Das zieht die Angelegenheit nicht nur in die Länge, es wirkt auch als Konzept unausgereift: Das Ruinöse dieser beiden Kontrahenten, die aus ihren Erfahrungen unterschiedliche Schlüsse zogen, es erscheint für das mondäne Bond-Franchise merkwürdigerweise zu familiär.  (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 27./28.10..10.2012)