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Arbeitsunfälle sind seit 1994 um ein Drittel zurückgegangen, psychische Erkrankungen um 128 Prozent gestiegen.

Foto: AP/Probst

"Der Mensch besteht eben nicht nur aus dem Körper, sondern auch aus Geist und Seele", betont Helmut Csillag, Leiter der Betriebsmedizin der Voestalpine. Tatsächlich weiß Csillag von einer Zunahme der Fälle von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen zu berichten. Wobei er einräumt, dass dazu auch eine Enttabuisierung beigetragen habe und man heute eher darüber spricht. Außerdem haben diese Leiden nicht nur betriebliche Ursachen, sondern auch persönliche und private. Nichtsdestotrotz ist es laut Csillag "absolut sinnvoll", dass der Gesetzgeber den Arbeitnehmerschutz in Sachen psychischer Fehlbelastungen nun nochmals erweitert. Bei der Voestalpine habe man bereits schwerpunktartig eventuelle Fehlbelastungen mit Stress- und Impulstests erhoben und setze Maßnahmen. Künftig wird man das eben flächendeckend tun.

Überhaupt scheint es eine Gesetzesnovelle zu sein, mit der viele durchaus zufrieden sind. Martin Gleitsmann, Experte für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer, meint etwa: "Viele Unternehmen haben bereits bislang psychische Faktoren in ihre Arbeitsumfeldbewertung miteinbezogen, eine gesamtstrategische Neuausrichtung in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge wird wohl nicht nötig sein." Das Gesetz schreibt künftig eine verpflichtende Evaluierung der psychischen Fehlbelastungen für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern vor. Das können Leistungs- und Konkurrenzdruck, Informationsmängel oder -überflutungen, aber auch sich ständig wiederholende monotone Arbeitsvorgänge, das Verwischen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit oder ein isoliertes Arbeiten ohne soziale Kontakte sein. Arbeitsmediziner oder optimalerweise Arbeits- und Organisationspsychologen müssen solche Belastungen künftig mit geeigneten Test aufspüren. Durchleuchtet werden dabei nicht die Erkrankungen der Mitarbeiter, sondern Strukturen, die die Psyche belasten können. Werden solche entdeckt, müssen sie ausgeräumt werden. Kleinere Unternehmen werden übrigens in Sachen Arbeitnehmerschutz von der AUVA betreut.

Arbeiterkammer-Experte Alexander Heider bewertet das sehr positiv: "Nur wenn man die Belastungen aufspürt, kann man auch Maßnahmen setzen. Wenn die Arbeit zu monoton ist, kann sie angereichert und besser unter den Mitarbeitern verteilt werden." Das lohnt sich: Immerhin leiden in Österreich 22,3 Prozent aller Beschäftigten unter arbeitsbedingtem Stress. Während die Krankenstandstage infolge von Arbeitsunfällen seit 1994 um ein Drittel zurückgegangen sind, sind jene wegen psychischer Erkrankungen um 128 Prozent angestiegen. Die Folge davon sind laut einer Studie der Wirtschaftsforscherin Gudrun Biffl im Auftrag der AK gesamtwirtschaftliche Kosten von rund 3,3 Milliarden Euro jährlich.

Nutzen der Prävention

Ein Wermutstropfen für den AK-Experten Heider ist allerdings, dass die Mindestzeiten, die Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmediziner und Psychologen im Einsatz sein müssen, mit der Gesetzesnovelle nicht erhöht werden. Bei Büroarbeit sind es wie bisher zumindest 1,2 Stunden pro Mitarbeiter und Jahr, in Produktionsstätten 1,5 Stunden und in Betrieben mit Nachtarbeit zwei Stunden. Lukas Mittermüller, Leiter der Personalabteilung von Bene Büromöbel, versichert allerdings, dass man in seinem Unternehmen diese Stundenanzahl bei Bedarf ohnehin überschreitet: " Wir achten schon bisher auf psychisch belastende Faktoren, haben zum Beispiel in der Produktion selbststeuernde Teams." Damit können sich diese in kleinen Einheiten selbst für Abwechslung sorgen und sich Arbeitszeiten freier gestalten. Außerdem sei man bei der Büroraumkonzeption nicht nur extern, sondern auch bei den Büroarbeitsplätzen im Unternehmen auf Konzentrations-, Motivations- oder Entspannungszonen bedacht.

Und als HR-Experte ist sich Mittermüller des Nutzens von Prävention bewusst: "Letztlich sorgt das nicht nur für weniger Krankenstände, sondern auch für ein Imageplus des Unternehmens." Man schaffe sich damit durchaus einen Vorteil bei der Personalrekrutierung im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. (Martina Madner, DER STANDARD, 27./28.10.2012)