Milena Michiko Flasar.

Foto: STANDARD / Heribert Corn

Was ist an Österreich überhaupt (noch) positiv? Auf diese Frage finde ich zunächst keine Antwort und das nicht, weil mir nichts Positives einfiele, sondern weil mein Österreich, d. h. das, welches ich kenne, nur ein kleiner Bruchteil dessen ist, was man gemeinhin unter Österreich versteht. Das Land als Ganzes mag ich deshalb keiner Prüfung unterziehen, zu vieles darin ist mir nicht vertraut. Vielmehr möchte ich im Kleinen bleiben, aus dem Kleinen heraus auf das Große schauen.

Mein Österreich, das ist das Österreich einer 32-jährigen Autorin, geboren und aufgewachsen in St. Pölten, als Tochter einer Japanerin und eines Österreichers mit böhmisch-mährischen Wurzeln, der stets Wert auf den sogenannten Hatschek im Namen legte und ihn bis heute nicht weggelassen oder gar eingedeutscht hat.

In meiner Familie stand und steht der Hatschek für einen beweglichen, äußerst dehnbaren Heimatbegriff, und es ist wohl diese Dehnbarkeit, die mich und meine Wahrnehmung am meisten geprägt hat: Sofern ich mir selbst überhaupt jemals die Frage nach meiner Herkunft stelle, fällt die Antwort darauf je nach Stimmung einmal so, dann wieder anders aus. Meistens jedoch sehe ich mich weder ausschließlich als Japanerin noch als Österreicherin, viel eher als beides und dann aber auch als keines von beidem, worin eine wohltuende Unsicherheit liegt. Wer oder was bin ich? Woher komme ich? Keine Ahnung. Vielleicht. Im besten Sinne egal.

Mein Österreich ist ein anderes Österreich. Von Kindheit an daran gewöhnt, ein bisschen anders zu sein oder besser: als ein bisschen anders betrachtet zu werden, was in den 1980er-Jahren, in einer Kleinstadt wie St. Pölten schnell der Fall war, oft gar nicht bösartig, sondern aus dem natürlichen Bedürfnis heraus, der Ordnung wegen eine Unterscheidung zu treffen, habe ich schon sehr früh eine sehr innige Verbundenheit mit jenen empfunden, die ebenfalls, aus welchen Gründen auch immer, ein bisschen anders sind.

Bücher hinter der "Krone"

Ob Außenseiter, Grenzgänger, Exzentriker oder Freaks - ihre Andersartigkeit, wiewohl sie alle aus ein und demselben Österreich stammen, ist freilich kein Wert an sich, der sie besonders machte oder auszeichnete, sie weist lediglich darauf hin, dass es so etwas wie das Österreich nicht gibt, bloß unterschiedliche Lebenswelten. Parallel zur Lebenswelt eines Dornbirner Taxifahrers etwa, der mir auseinandersetzte, wie günstig gelegen die Stadt sei ("nur sieben Stunden nach Paris!"), existiert die Lebenswelt eines Ottakringer Tschocherlbesitzers, der "das letzte österreichische Lokal in der Koppstraße" betreibt, oder die Lebenswelt eines Arbeiters aus St. Johann im Pongau, der gerne liest, Dostojewski und Tolstoi, dies aber verheimlicht, aus Angst vor dem Spott seiner Kumpels: "Die Bücher verstecke ich hinter der Kronen Zeitung."

Mein Österreich ist das Österreich derer, die Diversität bejahen. Es ist ein Österreich, das sagt: "Es lebe der Unterschied!" Und dieses Österreich ist mir derart vertraut, derart lieb, dass ich jedes Mal, wenn ich es verlasse, erstaunt bin, wie klein es im Grunde ist, im Gegensatz zum größeren Österreich derer, die in der Andersartigkeit eine Bedrohung ihrer eigenen Sicherheit orten und das meist grundlos, weil mangels tatsächlicher Berührungen mit dem Anderen, aus vagen Vorstellungen heraus oder weil ihnen die entsprechenden Schlagwörter vorgesagt werden, zum Beispiel das der Überfremdung, welches sich gut und leicht nachplappern lässt.

Was aber ist nun an Österreich positiv? Es geschieht im Hinblick auf mein kleines Österreich, wenn ich sage: Das Positive daran liegt schon in der Art dieser Fragestellung begründet. Sie zeigt das typisch Österreichische, nämlich das Positive erst einmal gar nicht für möglich zu halten, was im schlimmsten Fall in grantige Nörgelei ausartet, gleichgültig worüber, im besten Fall jedoch einen differenzierten, wachsamen Blick auf das eigene Land erlaubt.

Wenigstens verhält es sich so in meinem Österreich: Die meisten darin bringen ihre Liebe zur Heimat zum Ausdruck, indem sie ihr zunächst eine gehörige Portion Skepsis entgegenbringen. Heimat? Was soll das? Und gerade ihr Misstrauen gegenüber einem solchen Begriff ist mir sympathisch, ihre Abneigung gegen einen unhinterfragten Patriotismus. Eine Haltung, die mancherorts bedauert wird - warum wir Österreicher nicht mehr Selbstvertrauen hätten? Warum wir uns unnötig klein machten? - eine Haltung, die aber gleichzeitig das Potenzial in sich birgt, all das, was nicht unter das suggerierte Österreichertum fällt, miteinzuschließen, Grenzen neu auszuloten, sie vielleicht sogar zu durchbrechen, indem man den vielen Gesichtern und Biografien von vielen unterschiedlichen ÖsterreicherInnen, ob nun mit diesem oder jenem Hintergrund, mit simpler Wertschätzung begegnet.     (Milena Michiko Flasar, DER STANDARD, 25./26.10.2012)