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Bradlmusi, Volksmusik, Pop, Jazz, Fensageiger, klassische Musik sowieso - ohne Musik geht in Österreich gar nichts. Und das ist eigentlich positiv.

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Barbara Frischmuth.

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Positiv? Was ist Österreich? Der Staat, das Land, die Menschen? Österreich ist ein Rechtsstaat. Glaube ich. Auch wenn das Recht sich oft genug Zeit lässt mit dem Sprechen. Aber verglichen mit ... das ist die Nagelprobe. Verglichen mit so und so vielen Staaten auf diesem Globus, ist Österreich als Rechtsstaat ganz in Ordnung. Kommt darauf an, mit welchem anderen Staat man es gerade vergleicht. In den meisten Fällen so halbwegs. Gibt es einen Rechtsstaat, der ganzwegs ist? In dem keine Möglichkeit besteht, das Recht zu beugen? So wie es hierzulande gelegentlich gebeugt wird? Wenn zu viel Geld und zu viel Politik im Spiel sind? Kaum, solange Menschen Gesetze machen und Recht sprechen.

Ich bleibe also bei halbwegs. Noch ist es nicht so weit, dass es nur mehr darum geht, welchen Anwalt man sich leisten kann, wie im Goldenen Westen. Noch nicht. Oder darum, wie die Weisung der herrschenden Partei lautet, wie im ressourcenreichen Osten. Höchstens ansatzweise.

Das Land: die Landschaft, höre ich immer, wenn ich frage. Welche Landschaft? Alpen, Alpenvorland, Pannonische Tiefebene, Hügelland, Waldland, Seenland, Flachland? Die meisten votieren für ihre Zweitlandschaft, in der das Zweithaus, die Zweitwohnung, das Zweitleben angesiedelt sind. Ob im Waldviertel oder in der Südsteiermark, im Salzkammergut oder in den echten Alpen. Man schwärmt von der Lebensqualität, dem Fleisch der Almochsen, dem Wein der Weingegenden. Sehr positiv: die Kulinarik, ob (Kern)ölspur oder Kürbinarrische Wochen, Mohnzelten, Kärntner Reindling. Diese Liste kann sich nicht nur sehen, sondern auch schmecken lassen. Steirische Toskana, warum nicht? Erzherzog Johann war ein Prinz aus der Toskana. Tiroler Speckknödel muss man nicht mögen, luftgetrockneten Rohschinken eher schon. Und Salzburger Nockerl? Ein Essen für zwei. Bei aller Flaumigkeit, allein schafft das keiner.

Die Menschen? So viele Dialekte wie Kleinklimata. Manche sprechen, als stecke ihnen das Eis der Gletscher in der Kehle, andere singen beim Reden, nicht nur beim Wein. Die einen quetschen einen Diphthong, bis er keiner mehr ist, die anderen diphthongisieren jeden Vokal, der lang genug ist, bis man die gesprochenen Schleifen sehen kann. Mit einem Wort, Vielfalt. Sehr positiv. Aber nicht weiter ausgebaut. Dialekte ja, Mehrsprachigkeit nein. Was in der eigenen Sprechweise bereits angelegt ist, helle und dunkle Vokale, harte und aufgeweichte Konsonanten usw., wird in den anderen Sprachen als fremd empfunden. Zu fremd. Könnte ja die eigene, vor gar nicht so langer Zeit erworbene Selbstständigkeit gefährden.

Die Wertschätzung des Regionalen lässt manchmal das Nationale vergessen - gut so. Die Kehrseite: Landesfürsten, die sich gerne als Feudalherren sehen.

Von der Vielfalt war schon die Rede. Je nachdem, welcher Gegend man sich zugehörig fühlt, redet man von ihr als Österreich. Natürlich immer mit einem Haar Wien in der Suppe. Es sei denn, man ist Wiener, Wienerin. Dann ist Wien Österreich, und die Wiener sind die Österreicher schlechthin. Der Rest sind G'scherte. Da greift das Zweitleben nicht mehr ganz.

Ich selbst kann mich nur schwer entscheiden: typischer Fall von Mehrfachidentität.

Kultur, sagen die meisten, wenn es um die Österreicher und das Positive geht. Die Liebe zur Musik, zur E-Musik und wie ernst sie genommen wird. Der hiesige Taxifahrer hört immer klassische, nicht Volksmusik, wenn ich zusteige. Mit Leidenschaft, wie er sagt. Dabei spielt er nicht einmal ein Instrument. Hier spielen fast alle ein Instrument. Und hier, im Ausseerland, spielen sie alles, Volksmusik, Pop, Rock, Jazz und klassische Musik. Und sie spielen andauernd, weil es so viele Veranstaltungen und Feste gibt, die sie als Bradl-Musi, Fensageiger, Hollerschnapszuzler, Klarnarchisten usw. bespielen müssen, denn ohne Musik geht gar nichts. Eigentlich positiv.

Und die Menschen, die nicht Musik machen, nicht aus ihren Büchern vorlesen - was immer mehr von ihnen tun -, nicht einmal Bilder malen oder kunstfotografieren? Wenn sie nicht gerade mit Kulturpraktiken wie Vogelfang, Saibling fischen, Schnaps brennen, wildern oder Wintersport beschäftigt sind? Sie tragen bei. Ehrenamtlich, ganz bei der guten Sache. Bewahrend, wenn ihnen zusagt, was der Brauch fordert, verändernd, wenn der Brauch zur Schablone wird und auch das Jetzt sein Recht auf Pflege fordert.

Keiner bleibt durstig

Nach der Arbeit ist vor der Arbeit. Dazwischen gibt es aber auch etwas. Und diese Zwischenzeit lieben die Österreicher, unter denen ich wohne. Die einen löschen freiwillig Brände, solche mit Feuer, und solche, die nur mit Bier zu löschen sind. Da hilft dann der ganze Ort mit aus, damit keiner im Zelt durstig bleibt. Da werden Umzüge organisiert, sei es zu den heiligen drei Faschingstagen oder zur Erinnerung an frühere Bergarbeiterverhältnisse, sowie Narzissen- und Dorffeste gefeiert.

Im hiesigen Literaturmuseum machen schon seit sieben Jahren täglich Hausfrauen Dienst, verkaufen Bücher, geben Auskunft, richten bei Veranstaltungen was zum Essen und zum Trinken her. Unentgeltlich.

Es gibt das ganze Jahr über Vorbesprechungen und Nachräusche, gemeinsame Ausflüge bis nach Usbekistan und musikalische Wanderungen rund um den See. Kurz gesagt, man weiß, dass man nicht alles kaufen kann. Man muss auch selber etwas dafür tun, damit es lustig wird, aber auch, um helfen zu können. Eine Schule in Kenia? Nicht schlecht. Aber die Mittel dafür müssen erspielt, ertanzt, sozusagen kreativ erarbeitet werden.

Ein Hang zum Festlichen (siehe Tracht), oft belächelt und politisiert, beweist ein Talent, sich vom Alltag abzuheben, den Rhythmus der Zeit zu durchbrechen, zu etwas Spielerischem, zum Musizieren, zum Tanzen und zum kunstvoll eingesetzten und veränderten Wort, aber auch zum Lachen hin. Keinesfalls negativ.

Dabei geht es weniger darum, sein Phäakentum zu pflegen, sondern noch unterscheiden zu können zwischen Arbeit und Spiel, Zeit und Zwischenzeit, Alltäglichem und Rauschhaftem. Nachteil: dass viele von den Jungen gar nicht erst weg wollen, um sich auch anderswo auszuprobieren.  (Barbara Frischmuth, DER STANDARD, 25./26.10.2012)