"Kathi Zechner wird sehr böse auf mich sein, wenn sie das liest", vermutet Gerhard Zeiler: Der Turner-Manager kam zwischen Lateinamerika, Asien und USA nicht dazu, ihre neuen Formate zu sehen, sagt er.

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Wien - Starbucks? Nicht erst, seit der Wiener Gerhard Zeiler heuer die weltweite Führung des US-Fernsehkonzerns Turner übernahm, trifft er sich selbst in der Heimat bei der US-Kaffeekette. In den USA wurde er noch in seinem Jahrzehnt als RTL-Boss als wichtigster europäischer Fernsehmacher geehrt. In die USA schaute er, seit er den Münchner Privatsender Tele 5 und dann den ORF 1994 bis 1998 führte - nach Serien, Filmen, Showformaten.

Nun ist Zeiler (57) für CNN, TNT, Cartoon Network & Co zuständig, außerhalb der USA. Zwischen Asien, Lateinamerika, Atlanta und wieder Asien nahm er sich Zeit für ein Gespräch mit der Zeit (unten) und dem Standard.

Ein bisschen unwienerisch bei Starbucks. Das Österreichische schien ihm schon ein bisschen fremd, als er 2011 erwog, sich um den ORF-General zu bewerben. "Wenn es um einen selbst geht, neigt man doch zur Naivität." Da hat ihn Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gefragt, ob ihn der " Einfluss der Parteipolitiker auf Programmverantwortliche als Österreicher überrascht hat".

Nun widmet sich Zeiler größeren Räumen: In Lateinamerika, wo Turner vor allem mit Pay-TV "sehr stark, sehr profitabel" ist, prüft er "den Kauf von Free-TV-Kanälen, wenn sie in unsere Strategie passen, es finanziell Sinn macht und regulatorisch erlaubt ist".

In Asien hat er neben dem schon starken Turner-Markt Japan Indien und Indonesien besonders im Blick. Dort, und auch in Europa, wo er Turner in Spanien und Deutschland "stark" sieht, schaut sich Zeiler nach Free-TV-Sendern um: "Wir werden uns Free-TV auch in Europa und Asien ansehen." Besitzen Fernsehunternehmen keine eigenen Vertriebswege wie Kabel oder Satellit, müssten sie in frei empfangbarem Fernsehen, in Pay-TV und in der Programmproduktion aktiv sein.

"Es ist Teil unserer Strategie, uns Gelegenheiten im Free-to-Air-Bereich anzusehen", sagt Zeiler, "vor allem an Wachstumsmärkten interessiert". Also: "Deutschland ist sicher nicht die erste Priorität, wenn es um Free-to-Air geht."

ProSiebenSat.1 etwa gehört US-Finanzinvestoren, die schon Aktivitäten in einzelnen Ländern verkauft haben. Doch die Preisvorstellungen für den Konzern gelten als hoch, und ProSiebenSat.1 ist in Deutschland groß, das Zeiler ja "nicht als erste Priorität" sieht. Kaufkandidaten nennt er nicht.

STANDARD: Sie sind seit sechs Monaten weltweiter Chef von Turner Broadcasting abseits der USA. Was haben Sie denn mit CNN, TNT und Co. vor?

Zeiler: In Lateinamerika sind wir sehr stark, sehr profitabel. Mit HBO und Fox sind wir im Pay-TV Marktführer. Gerade das Abofernsehen wächst in diesen Ländern enorm. Wir wollen stärker in lokale Programme, lokalen Content investieren, insbesondere in Brasilien - aber nicht nur dort. In Lateinamerika prüfen wir auch den Kauf von Free-TV-Kanälen: Wenn sie in unsere Strategie passen, es finanziell Sinn macht und regulatorisch erlaubt ist. In Chile besitzen wir schon den drittgrößten Fernsehsender. 

STANDARD: Das heißt: Ihr Hauptaugenmerk gilt Lateinamerika?

Zeiler: Das ist ein Fokus meiner Tätigkeit. In Lateinamerika sind wir stark mit Kindersendern und mit General Entertainment-Kanälen vertreten. In Asien sind wir mit CNN International sehr stark im Newsgeschäft und haben besonders erfolgreiche Kanäle für Kids. Dorthin wollen wir auch unsere große General-Entertainment-Marke TNT bringen. In Japan sind wir schon relativ stark, Umsätze im dreistelligen Millionenbereich haben ausländische Medienkonzerne dort selten. Zudem haben wir Indien und Südostasien - dort vor allem Indonesien - im Blick.

STANDARD: Und Europa? Sie waren ein Jahrzehnt Chef der größten europäischen TV-Holding RTL Group.

Zeiler: In Spanien und in Deutschland sind wir mit unserem Programmportfolio sehr gut aufgestellt. Die schlechte Nachricht in Deutschland ist, dass es das Land mit der geringsten Pay-TV-Penetration in Europa ist. Die gute Nachricht ist, dass sich seit drei Jahren der Anteil an Pay-TV-Haushalten deutlich steigert. Bei 14 Prozent Pay-TV-Anteil kann man noch nicht von relevanten Größenordnungen sprechen, auch wenn wir mit sechs Kanälen dort sehr gut aufgestellt sind. Wenn 30 Prozent erreicht sind, wird Deutschland auch weltweit einer unserer stärkeren Märkte sein.

STANDARD: Sie haben als RTL-Chef mit vielen frei empfangbaren TV-Programmen über Jahre Pay-TV das Leben in Deutschland schwer gemacht.

Zeiler: Die späte Entwicklung von Pay hat sicher mit dem breiten Angebot im Free-TV zu tun. Aber klar ist auch: Der Fernsehwerbemarkt wird in Deutschland und den meisten westeuropäischen Ländern nicht nennenswert wachsen. Also setzen auch die Free-TV-Sender verstärkt auf Pay. Konsumenten sind bereit, für gutes Spezialprogramm zu zahlen. Da ist Deutschland ein Hoffnungsgebiet in Europa. Und wir wollen auch in Europa eine übergreifende General-Entertainment-Marke, TNT, in mehreren Märkten einführen.

STANDARD: Wie sieht es in Europa mit Free-TV-Sendern aus?

Zeiler: Wir werden uns Free-TV auch in Europa und in Asien ansehen. Ich bin felsenfest überzeugt: Ohne eigene Vertriebswege, also eigene Kabel- oder Satellitenplattformen, ist ein Fernsehunternehmen am besten aufgestellt, wenn es in Programmproduktion, in Pay-TV und in Free-TV investiert ist. Es ist Teil unserer Strategie, uns auch Möglichkeiten und Gelegenheiten im Free-to-Air-Bereich anzusehen.

STANDARD: Haben Sie schon konkretere Überlegungen über Zukauf oder Gründungen?

Zeiler: Ich werde jetzt sicher keine Geschäftsgeheimnisse verraten. Aber es ist kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass wir vor allem an Wachstumsmärkten interessiert sind.

STANDARD: Wenn Sie von Wachstumsmärkten und wohl Free-TV sprechen, steht nach ihren Worten aber Deutschland nicht weit vorne?

Zeiler: Deutschland ist sicher nicht die erste Priorität, wenn es um Free-to-Air geht.

STANDARD: Mögliche Kaufkandidaten wollen Sie nicht nennen?

Zeiler: Nein.

STANDARD: Als RTL-Chef haben Sie von Turner n-tv in Deutschland ganz übernommen. Bereuen Sie den Verkauf des Nachrichtensenders nun als Turner-Manager?

Zeiler: Überhaupt nicht. CNN International ist das meistgesehene News-Netzwerk weltweit und wird aus einer anderen Motivation heraus genutzt als n-tv, der ein wirklich guter Sender geworden ist, der seinen Platz gefunden hat ...

STANDARD: ... und wirtschaftlich dafür lange gebraucht hat.

Zeiler: Keine Frage, wie die meisten Nachrichtensender, die allein aus Werbung finanziert werden. CNN indes ist eine globale Marke, ein globales Angebot, das von 260 Millionen TV-Haushalten gesehen werden kann.

STANDARD: Sprachregionalisierung für den deutschsprachigen Raum ist da kein Thema?

Zeiler: Nein. Vor Jahren hat man das versucht. Aber mit CNN verbindet man nicht die deutsche Sprache.

STANDARD: Nach ihrem Abgang von RTL glänzt die Quote dort nicht mehr ganz so hell - fehlt Zeiler?

Zeiler: Nein. RTL hat dank Anke Schäferkordt und ihres Teams in den vergangenen Jahren fantastische Marktanteile erzielt. Sie wie ich haben immer gesagt: Das wird sich auf Dauer nicht halten lassen, manche Fernsehformate werden ihren Zenit überschreiten. Das ist die Volatilität in unserem Fernsehgeschäft, das ist die Volatilität der Kreativität. Ich mache mir um RTL keine Sorgen, und es braucht sich auch sonst niemand um RTL sorgen. 

STANDARD: Sie haben als ORF-General schon öffentlich-rechtliches Fernsehen gemacht, als RTL-Chef privates Fernsehen: Wenn ich Ihnen 820 Millionen in die Hand drücke ...

Zeiler: ... wieviel?

STANDARD: ... 820 Millionen Euro, die Summe, die ORF, Bund und Länder unter dem Titel Rundfunkgebühren einheben. Wieviel öffentlich-rechtliches TV, Radio, Internet kann man mit dieser Summe machen?

Zeiler: Schon einiges.

STANDARD: Ein TV-Kanal, zwei, dazu Radio ... ?

Zeiler: Damit geht sich enorm viel gutes, qualitätsvolles Programm aus. Öffentlich-rechtlichem Rundfunk muss einerseits alle Aufgaben in Information, Kultur, Bildung erfüllen, er muss aber auch für jeden etwas anbieten, also auch das breite Unterhaltungsprogramm. Und kein öffentlich-rechtlicher Sender kommt nur mit einem Programm aus. Ob man mit der genannten Summe zwei, drei oder vier Kanäle schafft, hängt auch von ihren Overheadkosten ab und ob Sie sich anstrengen, diese administrativen Kosten zurückzufahren. Das hängt vom jeweiligen Management ab. 

STANDARD: Im Interview mit „Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo wollten Sie binnen 24 Stunden Rundgang durchs ZDF zehn Prozent Sparpotenzial identifizieren. Wieviel schaffen Sie denn in der Zeit beim ORF?

Zeiler: Das war eine humorige Bemerkung, salopp in einem Gespräch formuliert. Richtig ist: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat genügend Mittel, um sein Programm zum Konsumenten zu bringen. Zum ORF kennen Sie meine Haltung: Ausser in Ausnahmesituationen halte ich mich als ehemaliger Generalintendant ganz bewusst zurück.

STANDARD: Der ORF fordert nun - nach deutschem und Schweizer Vorbild - statt der Rundfunkgebühr eine Abgabe für alle Haushalte unabhängig vom Empfang. Sie haben Verständnis dafür und würden als ORF-Chef auch Prügel von der „Krone" dafür riskieren?

Zeiler: Als Manager eines Konzerns kann ich doch nicht die Interessen meines Unternehmens davon abhängig machen, welche Zeitung dafür oder dagegen ist. Das muss ich schon selbst entscheiden. Die Haushaltsabgabe hat Vorteile. Einen klaren Rechtsrahmen - bei der Gebühr für Empfang wird es schwierig, wenn man nachweisen kann, dass man etwa den ORF nicht empfangen kann. Undman spart mit der Haushaltsabgabe den ganzen Aufwand für die Suche von Schwarzsehern, vielleicht auch den für die Einhebung. Politik und Medienbehörden müssen dann eben entscheiden, ob es für den einzelnen billiger werden soll, wenn alle Haushalte zahlen müssen. 

STANDARD: Privatfernsehen in Österreich ist nach Ihrer Position nur möglich, wenn man den ORF auf die Hälfte verkleinert oder ihm Werbung wegnimmt. Dagegen haben sie sich mehrfach ausgesprochen, obwohl Sie seit Jahren private TV-Konzerne führen?

Zeiler: Ein Land wie Österreich ist nicht groß genug, dass sich neben den großen deutschen Privatsendern zwei starke Säulen ausgehen - ein starker ORF und starke österreichische Privatsender. Das wäre wahrscheinlich vor 15 Jahren noch möglich gewesen ,aber heute ist das nicht mehr möglich. Um das österreichische Privatfernsehen signifikant zu steigern, müssten Sie dem ORF einen signifikanten Teil der Werbung wegnehmen und das stelle ich mir schwierig und auch nicht wünschenswert vor.

STANDARD: Nun haben Sie aber auch zuallererst als positive Auswirkung des Privatfernsehens politische Unabhängigkeit genannt.

Zeiler: Das stimmt, Italien vielleicht ausgeklammert.

STANDARD: Aber widerspricht das nicht Ihrem Plädoyer, den ORF nicht zugunsten privaten österreichischen Fernsehens zu begrenzen?

Zeiler: Das widerspricht sich überhaupt nicht. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann unabhängig in seiner Berichterstattung sein. Der ORF hat es viele Jahre bewiesen, die BBC beweist es jeden Tag aufs Neue. Auch nicht jede ARD-Anstalt hat politische Schlagseite. Unabhängigkeit ist möglich, wenn man diesen Wert als wichtig erachtet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass dieser Wert in Österreich als wichtig erachtet wird?

Zeiler: Sicherlich von vielen Journalisten. Und sicherlich von einem Teil des Managements.

STANDARD: Sie überlegten 2011, sich als ORF-Generaldirektor zu bewerben und erkannten dann, dass gerade die Spitze der SPÖ, aus der Sie kommen, Alexander Wrabetz bevorzugt. Wie abgeschlossen ist das Kapitel ORF für Sie? „Für alle Zeit", wie die „Zeit" Sie zuletzt fragte, oder „mit Sicherheit abgeschlossen", wie Sie antwortet.

Zeiler: Es ist abgeschlossen.

STANDARD: Wie finden Sie die neuen ORF-Sendungen von TV-Direktorin Kathrin Zechner, die Sie ja 1994 erstmals in die ORF-Führung geholt haben?

Zeiler: Ich war in den vergangenen Wochen in den USA, in Südamerika, in Asien unterwegs - ich war kaum in Österreich. Insofern habe ich mir keine der Sendungen ansehen können. Kathi Zechner wird sehr böse auf mich sein, wenn sie das liest. Aber ich habe sie nicht gesehen.

STANDARD: Dahinter steckt aber nicht, dass Sie die Formate nicht kommentieren wollen?

Zeiler: Nein, ich habe sie wirklich nicht gesehen.

STANDARD: Der ORF redet derzeit viel über das Jahr 2020, seine Zukunft also. Zentrales Thema: Fernsehen auf Abruf, kombiniert mit Social TV, also Programmempfehlungen und -kommentare unter Konsumenten. Ist das die Zukunft des Fernsehens?

Zeiler: Das ist eine davon. Nehmen wir die USA: 17 Prozent der Menschen, die einen digitalen Videorekorder besitzen, konsumieren Fernsehen 2012 zeitversetzt. Die Zahl ist seit 2006 unverändert. Revolutionen sehen anders aus. Aber immerhin: knapp ein Fünftel der Fernsehzeit wird auf Abruf konsumiert. Und relevant ist: In Zukunft müssen Sie als Fernsehunternehmen beides anbieten. Das ganz normale, quasi alte, lineare Fernsehen und die Möglichkeit, seine Lieblingsprogramme zu jeder Zeit und wann und wo man es will, abrufen zu können. 

STANDARD: Also auf iPad ...?

Zeiler: Sie müssen auf Smartphones, Tablets, XBox, überall präsent sein. Das ist auch eine Rechtefrage: Alleine die Zeit im Bild und Eigenproduktionen anzubieten, wird nicht reichen. Sie müssen auch Kaufprogramme, Serien, Filme mit anbieten können. Nur so können Sie ihr ganzes Markenbild anbieten und das ist letztlich entscheidend. Und der Austausch mit Freunden, Freundinnen über Fernsehprogramm ist ein wahnsinnig wichtiges Marketingtool. Jeder Fernsehsender muss hier etwas anbieten. Aber auch das wird keine Revolution hervorrufen, die das alte Fernsehen umbringt. Das sind Zusatzangebote.

STANDARD: Aber können Produzenten von TV-Sendungen nicht zunehmend die klassischen Fernsehsender umgehen und ihre Produktionen direkt dem Publikum verkaufen?

Zeiler: Ich teile diese Erwartung nicht im Geringsten. Sie brauchen heute ein Massenmedium, also einen großen Fernsehsender, um neue Programme einer breiten Öffentlichkeit bekannt, populär und zu einer Marke zu machen. 

STANDARD: Warum trifft sich ein gebürtiger Wiener eigentlich zu einem Interview im Starbucks - und das nicht erst, seit Sie Angestellter des US-Fernsehkonzerns Turner Broadcasting sind?

Zeiler: Weil der gebürtige Wiener ein Starbucks-Fan ist und sich überall auf der Welt fünf Minuten Zeit für einen Starbucks-Kaffee nimmt. Mir schmeckt er extrem gut, und mir gefällt die Atmosphäre hier. (Harald  Fidler, DER STANDARD, 24.10.2012/Langfassung)