Wien - Der Wiener Strafverteidiger Werner Tomanek hat mit seinem Buch Die Zwei-Klassen-Justiz (Verlag edition a) offenbar einen Nerv der Zeit getroffen. Auf den entsprechenden Standard-Bericht und das Interview mit dem Neobuchautor gab es zahlreiche Reaktionen. Die meisten davon teilen Tomaneks Meinung, dass Menschen, die mit dem Strafgesetz in Konflikt kommen, es leichter haben, wenn sie vermögend und gut gebildet sowie in maßgebliche gesellschaftliche Netzwerke eingebunden sind. Wie berichtet, stützen auch soziologische Daten über Häftlinge in Österreich diese Annahme.

Politiker hingegen urteilen differenzierter: Der Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser, ist zwar sicher, dass es Ungleichheiten vor Gericht gebe, von einer Zwei-Klassen-Justiz möchte er aber nicht sprechen. "Das würde nämlich bedeuten, dass das Justizssystem darauf ausgelegt wäre und das ist es nicht", sagte Steinhauser am Dienstag auf Anfrage.

Star- oder Pflichtverteidiger

Aber es sei natürlich ein wesentlicher Unterschied, ob sich ein Beschuldigter einen renommierten Starverteidiger leisten könne oder auf einen Pflichtverteidiger angewiesen sei. Auch die Qualität von Dolmetschern im Fall von nichtdeutschsprachigen Angeklagten könne entscheidend sein. Steinhauser: "Es gibt justizimmanente Probleme, an denen wir ständig arbeiten und Lösungen finden müssen."

Auch FPÖ-Justizsprecher Peter Fichtenbauer, selbst Rechtsanwalt, kann die Existenz einer Zwei-Klassen-Justiz nicht bestätigen. "Im Gegenteil, gerade die Rechtsversorgung für mittellose Menschen in Österreich bewegt sich im Vergleich zu anderen Ländern auf hohem Niveau", lobt Fichtenbauer im Gespräch mit dem Standard. Natürlich könne sich nicht jeder eine Anwalt-Armada wie in der Meinl-Bank-Causa leisten, aber das sei auch nicht immer ein Vorteil. "Der ehemalige Kärntner VP-Chef Josef Martinz hatte ja auch einen guten Anwalt und wurde trotzdem erstinstanzlich verurteilt." Dass es heute noch so etwas wie einen Politikerbonus vor Gericht gebe, glaubt Fichtenbauer nicht. "Das hat sich in den vergangenen Jahren eher zu einem Politikermalus gewandelt", konstatiert der Politiker. (Michael Simoner, DER STANDARD, 24.10.2012)