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An lokale Bedingungen angepasste, dezentrale Versorgungssysteme, die auf Wind oder Sonne basieren, fordert Mans Nilsson.

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Mans Nilsson: "Viele kaufen Biolebensmittel, aber all das hat keine Auswirkungen, wenn man jedes Jahr nach Thailand fliegt."

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STANDARD: Die Vereinten Nationen haben 2012 zum Internationalen Jahr der nachhaltigen Energien für alle erklärt. Aber gibt es überhaupt so etwas wie einen Konsens darüber, was nachhaltige Energiequellen sind?

Nilsson: Nein, es gibt keine allgemeingültige Definition. Deutschland zum Beispiel steigt aus der Atomenergie aus, weil es diese nicht für zukunftsfähig hält, während Länder wie Frankreich und Finnland ihre nukleare Energieversorgung weiter ausbauen möchten. In Bezug auf die Notwendigkeit einer Energie-Grundversorgung für die Armen dieser Welt herrscht jedoch international ein ziemlich starker Konsens. Ungefähr 1,3 Milliarden Menschen haben keinen Zugriff auf moderne Energieressourcen, eine weitere Milliarde ist an unsichere Stromnetze angeschlossen. Man will zunächst dafür sorgen, dass die Bewohner unterentwickelter Regionen wegkommen von der Nutzung alter, schmutziger Energieträger, so wie Kuhmist oder eingesammeltes Brennholz, welche in den Häusern verbrannt werden. Der dabei entstehende Ruß verursacht viele Gesundheitsprobleme.

STANDARD: Energie gilt auch als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung. Welche Schritte müssen in den Entwicklungsländern unternommen werden, um die dortige Energieversorgung längerfristig zu verbessern?

Nilsson: Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Elektrifizierung ist wichtig, aber oft ist es nicht möglich, entlegene ländliche Gebiete mit einer geringen Bevölkerungsdichte an das reguläre Elektrizitätsnetz anzuschließen. Stattdessen wäre es dort notwendig, sich auf dezentrale, lokale Versorgungssysteme verlassen zu können. Solche, die auf Wind oder Solarenergie basieren. Der erste Schritt muss aber sein, lokale Märkte aufzubauen. Es muss vor Ort Menschen geben, die Energie produzieren, verkaufen und kaufen, sowie Fachkräfte zur Instandhaltung der technischen Anlagen. Dafür braucht es Finanzierung und geeignete Unternehmensmodelle, kostengünstige Geschäftsmöglichkeiten wie Kooperativen und Kleinanleihen.

STANDARD: Gibt es diesbezüglich eigentlich schon erfolgreiche Pilotprojekte?

Nilsson: Ja, unter anderem ein großangelegtes Programm in Indien, welches unter dem Namen "Lighting a Billion Lives" läuft. Dieses wurde 2007 gestartet und basiert auf der Einsicht, dass es nicht ausreicht, lediglich Zugriff auf eine Energiequelle zu ermöglichen. Viel wichtiger ist, die Energieversorgung an die lokalen Bedürfnisse anzupassen und zu verstehen, was die Menschen verlangen. Einen "Bottom-up-Approach", einen Wandel von unten herauf. Beim "Lighting a Billion Lives"-Projekt spielen deshalb kostengünstige, aufladbare Solarleuchten eine Hauptrolle. Ihre Nutzung passt hervorragend in die bestehenden sozioökonomischen Dorfstrukturen und ersetzt umweltverschmutzende Kerosinlampen.

STANDARD: Eine globale nachhaltige Energiewirtschaft erfordert auch von den Industriestaaten einen enormen Wandel. Was sind hier die entscheidenden Herausforderungen?

Nilsson: Der wichtigste Wandlungsprozess hat bereits angefangen: die Umstellung auf erneuerbare Energieerzeugung. Der zweite Schritt, die konzertierte Entwicklung hin zu mehr Energieeffizienz, wird gleichwohl nur sehr langsam vollzogen. Jeder weiß, dass eine effizientere Nutzung von Energie eine Schlüsselrolle spielt und eine Win-win-Perspektive ist, von der Umwelt, Wirtschaft und Verbraucher profitieren. Und doch hat die Europäische Kommission große Schwierigkeiten, für eine solche Strategie bei den Mitgliedsstaaten allgemeine Zustimmung zu finden.

STANDARD: Wenn die Vorteile und Notwendigkeiten so klar sind, warum tun sich Politiker und andere Entscheidungsträger dann so schwer?

Nilsson: Es gibt auf dieser Bühne eben einige extrem mächtige Mitspieler. Zum Beispiel die Lieferanten fossiler Energieträger und die großen Energieversorgungskonzerne. Sie kämpfen gegen den Wandel, gegen mehr erneuerbare Energien und Energieeffizienz. In der EU ist diese Lobby allerdings noch harmlos im Vergleich zu dem Einfluss, den sie in den USA ausübt.

STANDARD: Wie werden sich Big Oil, Big Gas und Co Ihrer Meinung nach in Zukunft verhalten, wenn die Vorräte an fossilen Brennstoffen immer knapper werden?

Nilsson: In der Öffentlichkeit haben sich solche Firmen bereits als Befürworter von regenerativen Energien ausgesprochen, aber sie haben ihre Geschäftsmodelle nicht geändert. Vielleicht sind sie zukünftig dazu in der Lage, doch bisher wurden die meisten Entwicklungen im regenerativen Energiesektor von neuen Unternehmen vorangetrieben, und dasselbe gilt für die Energieeffizienz. Die großen Konzerne scheinen nicht in der Lage zu sein, ihre Strategien zu ändern. Sie investieren zu wenig in langfristig gewinnbringende Innovationen, und ihre Steuerungsprozesse sind anscheinend zu rigide für einen echten Wandel.

STANDARD: In Ihrer Studie heben Sie auch die Notwendigkeit von Änderungen im Lebensstil von jedem einzelnen Bürger in den reichen Ländern hervor. Was ist hier am wichtigsten?

Nilsson: Die Menschen müssen sich darüber im Klaren sein, was große Auswirkungen hat und was kleine. Vielen kaufen Biolebensmittel und nutzen Mehrwegflaschen, aber all das hat keine wesentlichen Auswirkungen, wenn man jedes Jahr mit dem Flugzeug nach Thailand in den Urlaub fliegt. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 24.10.2012)

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Wissen: 40 Jahre globale Problemlösung

Nobelpreisträger und führende Vertreter aus Politik und Wissenschaft werden von heute, Mittwoch, bis Freitag bei der Konferenz "Worlds Within Reach - From Science to Policy" in Wien und Laxenburg erwartet. Ausgerichtet wird sie vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) zum 40. Jubiläum seines Bestehens. Globale Probleme stehen seit 1972 im Mittelpunkt der interdisziplinären Forschungsarbeit des renommierten Instituts. Große Themen wie Nachhaltigkeit, Klima und Luftverschmutzung, Energie, Ernährung und Wasser, Armut und Gleichheit bestimmen auch die Konferenz.

Gegründet auf Initiative der USA und der UdSSR, sollte das IIASA inmitten des Kalten Krieges eine wissenschaftliche Brückenfunktion zwischen Ost und West einnehmen. Derzeit widmen sich rund 200 internationale Wissenschafter Fragen von Klimawandel, Umweltschutz und Energieressourcen, wirtschaftlich relevanten Pro-blemen sowie den Auswirkungen demografischer Veränderungen. Globale Szenarien und Modellrechnungen haben das Institut international bekanntgemacht, die Ergebnisse von IIASA-Studien waren und sind eine wichtige Basis für viele politische Entscheidungen. Finanziert wird das IIASA von den Mitgliedsorganisationen aus 19 Ländern (hierzulande ist das die Österreichische Akademie der Wissenschaften mit Mitteln des Wissenschaftsministeriums).

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Die Konferenz kann per Livestream verfolgt werden unter conference2012.iiasa.ac.at.