Die Abgründe der eigenen Seele sind tief, und die innere Nacht ist oft sehr dunkel: Jürgen Klauke, "Heimspiel", 1990/92.

Foto: Jürgen Klauke, Courtesy of Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Wien / VBK Wien

Wien - Der Mond allein macht noch keine Nacht. Zart steht die silberne Sichel über dem Kolosseum in Rom. Ganz ins warme Abendlicht gehüllt, stiehlt es dem Planeten allerdings die Schau. Anton Romako hielt diese romantische Stimmung 1865/68 in einem zarten Aquarell fest.

In der Ausstellung Die Nacht im Zwielicht - Kunst von der Romantik bis heute steht das helle Blatt jedoch für die erhabenen Nachtlandschaften. In diesem Kapitel findet man Typisches, darunter das dramatische Seestück von Diaz de la Peña aus dem 19. Jahrhundert, aber auch moderne Blicke auf urbane Landschaften, wie die ins Pariser Lichtermeer eintauchenden Bahngleise von Brassaï.

Trotzdem will die Ausstellung im Belvedere nicht nur die düstren und romantischen Klischees der Nacht bedienen, obwohl freilich weder Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer noch nächtliche Heimsuchungen von Odilon Redon oder Johann Heinrich Füssli fehlen. Es geht auch um die lichten Seiten der Nacht. "Wir wollten zeigen, dass die Nacht bunt sein kann", sagt Brigitte Borchhardt-Birbaumer, die die Schau gemeinsam mit Harald Krejci kuratierte. Die beiden erweiterten diese daher auch ins Abstrakte. So leuchtet die flirrend heiße Sommernacht von Stanley Whitney in purpurnen, gelben und roten Farbfeldern, und Georg Karl Pfahler reduzierte auf intensives Sonnenuntergangs-Orange.

Sich aber auf das Besondere - das Lichte in der Nacht - zu fokussieren genügte den Kuratoren nicht. Schließlich ging es auch darum, die reichen Bestände des Hauses aus den Depots zu fischen - und daraus vieles, was nie oder höchst selten zu sehen war. Da kommt das Nächtliche, das viele Formen und Gestalten annimmt und solche Breite erlaubt, gerade recht. " Die Nacht enthält daher alles, was man in sie hineinlegt", zitiert man eingangs den englischen Lyriker Al Alvarez.

Innere und äußere Nacht

"Es geht um die Nacht außen und um die Nacht in uns", sagt Borchhardt-Birbaumer über einen weiteren, große Dimensionen erschließenden Aspekt im Spektrum der Ausstellung. Dem Wiener Erbe Sigmund Freuds und seiner Traumdeutung gerecht werdend, dringt man also mit einem Laternchen auch in die dunkelsten Ecken unserer Psyche vor. Von der Romantik über den Symbolismus bis zur Abstraktion geht es, von religiösen, allegorischen und mythologischen Darstellungen bis zu weltlichen Themen der Industrialisierung und Elektrifizierung. Und auch der Krieg als "Die Große Nacht" wird behandelt: George Grosz' von Feuer erleuchtetes Gemälde Schlacht (1930) erinnert an die Vernichtung der biblischen Städte Sodom und Gomorra.

"Alles, was herausgefunden werden kann, wird nachts herausgefunden", lautet ein Zitat von Peter Handke, das wie viele andere Bonmots in der Ausstellung die Stunden nach Sonnenuntergang beschwört. Manches verstärkt, anderes konterkariert das Präsentierte, so etwa Handkes Satz: Man zeigt Flaneure der Nacht (Ernst Ludwig Kirchner), selig Schlummernde (Ferdinand Georg Waldmüller) oder sich von Wunden der Liebe in den Schlaf Rettende (Gustave Courbet).

Die Schau führt in Grotten und Kerker, zu Vulkanen oder in den modernen Untergrund von Kanal und U-Bahn, verliert sich jedoch in der Vielzahl der Räume. Wichtige Akzente verhallen in der Weite von mehr als 280 Exponaten aus 200 Jahren Kunstgeschichte.

Ja, sogar richtig schlechte Bilder wollte man integrieren - Borchhardt-Birbaumer nennt Amanda de Leons verkitschten Gipsy Cave aus den 1950er-Jahren als Beispiel. Mit diesem Auswahlkriterium darf man sich schließlich ganz sicher sein: Seit der Ausstellung Die Nacht 1998 im Münchner Haus der Kunst wird dem Thema fast jährlich gehuldigt. Dem Belvedere fällt nichts anderes ein, als darauf mit einem Konzept der Beliebigkeit zu antworten. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 24.10.2012)