Cartoon: STANDARD/Schopf

Beim Begriff Wohngemeinschaft denken viele noch an verrauchte Wohnzimmer, nächtelange Polit-Debatten, freie Liebe - und ein Ende im Streit. Aber wenn die WG im 21. Jahrhundert eine Renaissance erlebt, dann hat sie mit den Lebenswelten der 1968er-Generation nichts mehr zu tun.

Die Gründung neuer WGs wird vor allem von zwei Motiven geprägt, zeigte sich vergangene Woche am 44. Standard-Symposium über die "Zukunft des Wohnens", das der Frage "Allein oder in der WG" gewidmet war: Die Jungen suchen günstigen Wohnraum, der dennoch viele Annehmlichkeiten und genügend Platz bieten kann. Und ältere Menschen wünschen sich sozialen Anschluss, wollen aber nicht ins Seniorenheim.

Und die WGs sind nicht mehr durch Spontaneität und Not zweckentfremdete Altbauwohnungen, sondern werden von meist gemeinnützigen Bauträgern ganz gezielt geplant. Dabei verwischen sich zunehmend die Grenzen zwischen konventionellen Wohnanlagen mit Gemeinschaftsräumen und echten WGs, in denen die Bewohner nur das eigene Schlafzimmer nicht teilen.

Erfahrungen mit WGs

Eröffnet wurde das vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierte Symposium von der Schriftstellerin Julya Rabinowich, die ihre eigene Lebenserfahrungen mit verschiedenene Arten der Wohngemeinschaften in der Sowjetunion und in Wien als Ausgangspunkt für eine kleine Philosophie des Wohnens nahm.

Der Salzburger Stadtsoziologe Raimund Gutmann, Spiritus Rector zahlreicher innovativer Wohnprojekte mit Gemeinschaftsorientierung, sprach über die demografischen Entwicklungen, die die Nachfrage nach unkonventionellen Wohneinheiten antreibt: Der Zerfall der klassischen Familie und die wachsenden Brüche in vielen Lebensläufen produzieren immer mehr Singles. Doch eine Fragmentierung des Wohnens in lauter eigenständigen Kleineinheiten ist weder von der Ökonomie noch von der Wohnqualität her erstrebenswert.

"Wollen wir diesen Menschen nur kleine ,Smart‘-Wohnungen bieten?", fragte Gutmann. "Das können wir uns gar nicht leisten. Wir brauchen kreative Wohnmodelle mit weniger individueller Wohnfläche, kompensiert durch Serviceangebote und Gemeinschaftsräume." Nötig sei der richtige Umgang mit "Distanz und Nähe", das Modell der Zukunft die "Wahlverwandtschaften auf Zeit".

Ein Platz, wo man dies schon jetzt beobachten kann, ist das neue Viertel am ehemaligen Wiener Nordbahnhof. Dort steht an der Vorgartenstraße eine architektonisch höchst gelungene Anlage für junges Wohnen, die ein Studentenheim und günstige geförderte Wohnungen unter einem Dach vereint. Die Einheiten sind kleiner als üblich, haben dafür aber große Balkone. Allerdings: Die Beziehungen zwischen Studenten und Hausbewohnern sind streckenweise konfliktgeladen, vor allem die zwischen ihnen geteilte Sauna erweist sich als Zankapfel.

Gleich dahinter steht das Projekt Citycom2, wo auch mithilfe komplizierter Mietverträge WGs einer neuen Generation geschaffen wurden, in denen jeder Bewohner gleichberechtigt ist. In herkömmlichen WGs hat ein Bewohner den Hauptmietvertrag - und dadurch mehr Rechte als die anderen, erzählte Michael Pech, Chef der Baugesellschaft ÖWS, die Citycom2 errichtet hat.

"Barrierefreiheit entscheidend"

Aber Wohngemeinschaften sprechen auch Senioren an, berichtete Michael König von der Diakonie Salzburg. Dort heißen sie dann Wohnquartiere und geben den älteren Bewohnern die Privatsphäre, die sie brauchen, und die Chancen auf Kontakt, die sie wünschen. Das gelinge durch gute architektonische Planung und entsprechend attraktive Gemeinschaftseinrichtungen, etwa große Wohnküchen. Entscheidend für die Lebensqualität der Älteren sei dabei die Barrierenfreiheit, betonte die ÖVP-Seniorensprecherin Gertrude Aubauer, die mit der SPÖ-Abgeordneten Elisabeth Hakel über das Thema debattierte. Ohne sie würden sich Ältere nicht aus dem Haus trauen und in der Isolation landen.

Eines der ersten integrativen Wohnprojekte in Wien war die Sargfabrik, die noch heute von der Initiativfreude ihrer Bewohner lebt. Aber dies könne man nicht überall erwarten, sagte der frühere Bahngewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl, der nun die Wohnbaugenossenschaft BWSG führt. "Projekte, in denen gemeinsame Lebensräume geschaffen werden, funktionieren meist drei bis fünf Jahre. Dann brauchen sie einen Motor, um am Leben erhalten zu werden." Daher seien die Bauträger gefragt, nicht nur eine passende Hardware hinzustellen, sondern auch für eine effektive Software während der Lebensdauer eines Wohnhauses zu sorgen.

"Soziale Software" siegt

Die "soziale Software" war auch der Begriff, der unter den Vorschlägen, die aus den traditionellen Tischgesprächen beim Symposium herauskamen, zum Sieger gewählt wurde.

Ein Hindernis für viele neue Wohnformen ist das Mietrecht, das etwa verhindert, dass alleinstehende ältere Menschen aus ihren zu groß gewordenen Wohnungen ausziehen, betonte auch Haberzettl, der für die SPÖ im Nationalrat sitzt. "Wie schaffen wir es durch Anreize, diese Wohnungen für Familien zu gewinnen, wenn der Bedarf da ist", sprach er ein Thema an, das oft als Tabu gilt. "Wir müssen diese Frage des Mietrechts diskutieren." (Eric Frey, DER STANDARD, 24.10.2012)