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In der Doping-Causa Lance Armstrong geht es nun ans Eingemachte.

Foto: EPA/IAN LANGSDON

Köln - Am Tag danach war im Hause Armstrong Alltag angesagt. "Erziehe meine 5 Kinder. Kämpfe gegen Krebs. Schwimme, bike, laufe und golfe, wann immer ich kann", twitterte Lance Armstrong. Der bisherige Zusatz "7-maliger Tour de France Gewinner" fehlt seit Montag in seinem Profil - und in der Haushaltskasse fehlt vermutlich bald eine ganze Menge Geld.

Prozesslawine

Nach der endgültigen Vernichtung seiner auf Betrug gegründeten Radsport-Karriere muss Armstrong nun auch um seine finanzielle Existenz fürchten. Wegen des größten Doping-Skandals der Sportgeschichte rollt auf den Amerikaner nach dem Entzug seiner Tour-Siege eine gigantische Prozesslawine zu. Klagen getäuschter Sponsoren und Renn-Veranstalter auf Schadenersatz und Prämienrückzahlungen in voraussichtlich zweistelliger Millionen-Höhe - sogar eine Gefängnisstrafe für Armstrong scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Armstrong steht allerdings nicht als Einziger vor einem Scherbenhaufen. Ähnlich wie der "Typ zum Vergessen" (Die Welt) droht in dessen Sog auch die Spitze des Weltverbandes UCI unterzugehen. Weltweit mehren sich die Forderungen nach dem Rücktritt von UCI-Boss Pat McQuaid. Der Ire hatte bei Armstrongs Verbannung das UCI-Versagen verteidigt und Kronzeugen gegen Armstrong als "Mistkerle" bezeichnet.

SCA Promotions fordert 5,76 Millionen Euro

Der Mistkerl für betrogene Werbepartner und Organisatoren ist aber alleine Armstrong. "Er ist nicht länger der Gewinner, also wäre es unangemessen, die Gelder zu behalten", begründete ein Anwalt der US-Versicherung SCA Promotions die Forderung des Unternehmens auf Rückzahlung von umgerechnet 5,76 Millionen Euro (7,5 Millionen Dollar).

Pikant macht den Vorgang, dass Armstrong den Bonus von fünf Millionen Dollar für die Siege 2002 bis 2004 und zusätzlich 2,5 Millionen Dollar Schadenersatz erfolgreich eingeklagt hatte, nachdem die Versicherung die Prämien wegen Dopinggerüchten auf Eis gelegt hatte. Der SCA-Jurist deutete zudem an, eine Rückforderung sämtlicher angeblich 9,2 Millionen Euro Prämien seines Hauses für Armstrong auf den Prüfstand zu stellen.

Tour-Veranstalter fordern drei Millionen Euro

Auch die Tour-Macher präsentierten schnell eine Rechnung. "Die UCI-Regeln sind sehr eindeutig: Wer einen Sieg aberkannt bekommt, muss auch die Prämie zurückgeben", verdeutlichte Tour-Generaldirektor Christian Prudhomme die Ansprüche der Franzosen. Armstrong kassierte von der Tour-Gesellschaft für die Erfolge von 1999 bis 2005 insgesamt drei Millionen Euro Prämie.

Die ersten Vorstöße sind vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Die Londoner Sunday Times erwägt eine Schadenersatz- und Betrugsklage gegen Armstrong, nachdem der Texaner 2006 in einem Verleumdungsprozess gegen die Zeitung wegen eines Berichts über seine Verbindungen zur Doping-Szene eine Vergleichszahlung von angeblich 1,2 Millionen Euro erwirkt hatte.

Das US-Justizministerium ermittelt zudem wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder in der Armstrong-Ära beim staatlich unterstützten US-Postal-Team. Unheil droht auch durch zahlreiche Firmen und Rennveranstalter, die sich mit Armstrong und seinem Image schmücken wollten und dafür nicht selten Millionen hinblätterten.

Dreistelliges Millionen-Dollar-Vermögen

So manche Forderungen wird Armstrong noch aus seinem auf über 100 Millionen Dollar (76,75 Millionen Euro) geschätzten Vermögen erfüllen können, jedoch dürften seine Millionen weniger werden: Kassierte Armstrong durch Sponsoren zuletzt jährlich noch geschätzt fast 13,5 Millionen Euro, versiegen seine Quellen nach den Kündigungen der wichtigsten Werbepartner (Nike, Trek, Oakley, Anheuser-Busch) zusehends. Auch wird Armstrong kaum noch als Vortragsredner oder Stargast bei Promi-Galas gefragt sein und damit auch diese zumeist üppigen Honorare abschreiben müssen.

Mit Geld aber ließe sich das womöglich größte Problem auch kaum lösen: Wegen seiner einst beschworenen Unschuldsbehauptungen in der Dopingfrage drohen Armstrong im Falle einer Anklage wegen Meineides bis zu 30 Jahre Gefängnis.

Dagegen muss sich UCI-Boss McQuaid ledigliche Sorgen um seinen Job machen. "Niemand, der in Armstrongs Jahren bei der UCI an verantwortlicher Stelle tätig war, kann noch rechtfertigen, weiterhin an der gleichen oder einen ähnlichen Stelle zu sein", sagte der Präsident John Fahey (Australien) von der Welt-Anti-Doping-Agentur in einem Radio-Interview.

UCI und McQuaid weiter in der Kritik

Ohne McQuaid persönlich zu nennen, prangerte der Chef-Dopingjäger die Tatenlosigkeit der UCI-Spitze an: "Es gab eine Zeit, in der Doping für jeden Fahrer dazugehörte. Alle Zeugen gegen Armstrong sagten aus, dass man ohne nicht konkurrenzfähig gewesen ist. Und wenn Doping so weit verbreitet war, muss man Fragen stellen: Wer wollte das stoppen? Wer hat dagegen gearbeitet? Warum ist es nicht gestoppt worden? Der Radsport kann seine Glaubwürdigkeit nicht wiederherstellen und kein neues Vertrauen gewinnen, wenn die verantwortlichen Personen bei der UCI sich diese Fragen nicht stellen und keine Konsequenzen für sich und ihren Verband daraus ziehen."

Auch USADA-Kronzeuge Tyler Hamilton, für den UCI-Chef einer der "Mistkerle, die nur Schaden über den Radsport gebracht haben", fordert McQuaids Abgang. "Seine Kommentare belegen seine heuchlerische Führung und unterstreichen, dass er zu einem bedeutsamen Neuanfang nicht in der Lage ist", sagte Hamilton: "Statt neuen Generationen von Radsportlern Hoffnung zu geben, zeigte er nur mit dem Finger auf andere, beschuldigte und griff die Personen an, die geholfen haben, den Fall aufzurollen. Für McQuaid gibt es keinen Platz mehr im Radsport."

Dieser Sichtweise schloss sich der deutsche Ex-Profi Jörg Jaksche, wie Hamilton ein geständiger Dopingsünder und von McQuaid für seine Zusammenarbeit mit den Dopingfahnern gerügt, im ZDF-Interview an: "Der Fisch stinkt vom Kopf her."

Auch Ex-Teamkollege Kjaergaard geständig

Indes hat auch der norwegische Ex-Profi Steffen Kjaergaard nach der lebenslangen Dopingsperre für seinen früheren Teamgefährten die systematische Einnahme von EPO zugegeben. Der 39-Jährige wurde am Dienstag von seinem Posten als Sportchef beim nationalen Radsportverband suspendiert.

Er habe 15 Jahre mit einer Lüge gelebt, sagte der 2000 bis 2003 bei Armstrongs damaliger Mannschaft US Postal als Helfer beschäftigte Norweger. Durch die gegen Armstrong in dieser Woche veröffentlichten Dopingvorwürfe sei er gezwungen worden, sich wieder mit den dunklen Lügen auseinanderzusetzen. Das verbotene Ausdauermittel EPO will Kjaergaard auf eigene Initiative eingenommen haben.

Indurain auf Seiten Armstrongs

Interessant erscheint die Wortmeldung von Miguel Indurain, nun wieder ex aequo Rekordgewinner der Tour de France. Der Fünffach-Gewinner der "Großen Schleife" meinte im spanischen Radio, Armstrong für unschuldig zu halten. "All seine Kontrollen waren okay und er hat alle Prozesse gewonnen, die er gehabt hat", erläuterte der Spanier. "Ich bin ein bisschen fassungslos, dass er nur aufgrund von Zeugenaussagen verurteilt worden ist." (SID, 23.10.2012)