Am Podium diskutierten Ruth Kutalek, Karl Wrenkh und Martin Schlatzer unter der Moderation von Journalistin Irmgard Kirchner.

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Der weltweite Fleischkonsum liegt jährlich im Schnitt bei 40 Kilo pro Person, in Österreich bei 70 Kilo. Bis 2050 wird er sich verdoppeln.

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Schnitzel, Gulasch, Schweinsbraten - die österreichische Küche ist weltweit für ihre deftige Hausmannskost bekannt. Hierzulande ist es für die meisten Menschen normal, mehrmals pro Woche oder gar täglich Fleisch zu essen. Dabei wirkt sich der hohe Fleischkonsum der westlichen Länder bedrohlich auf die Welternährung, das Klima und die Umwelt aus. Er führt zu sozialer Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd. Aber die moralischen, ethischen und gesundheitlichen Fragen, die das Essen von Tieren aufwirft, rücken oftmals in den Hintergrund.

Bei der Podiumsdiskussion "Tiere essen - entwicklungspolitische Perspektiven" in der Wiener Hauptbücherei trafen sich der Ernährungsökologe Martin Schlatzer, die Anthropologin und Ethnomedizinerin Ruth Kutalek und der Wiener Gastronom Karl Wrenkh. Sie beleuchteten den Zusammenhang zwischen Fleischessen und globalem Leid aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigten mögliche Alternativen auf. Dabei waren sich die Diskutanten in einem Punkt einig: Es kommt zu viel Tier auf unsere Teller.

70 Kilo Fleisch pro Person

Zu Beginn erklärte Martin Schlatzer die Zusammenhänge zwischen Ernährung und globalen Problemfeldern. Den steigenden Fleischkonsum hinterfragte er dabei kritisch: Dieser hat sich weltweit seit 1950 mehr als verdoppelt. Bis 2050 wird er sich laut Prognosen ein weiteres Mal verdoppeln. Im Moment werden jährlich 66,4 Milliarden Tiere für die Fleischproduktion geschlachtet, das entspricht in etwa dem Zehnfachen der Weltbevölkerung.

In Österreich kommen pro Person und Jahr durchschnittlich 70 Kilogramm Fleisch auf den Teller, wobei Männer um ein Drittel mehr Fleisch essen als Frauen. Der globale Fleischkonsum liegt im Schnitt bei 40 Kilo pro Person. Der Pro-Kopf-Verbrauch in den Industrieländern ist mit 82 Kilo aber deutlich höher als in Entwicklungsländern mit 30 Kilo.

Konsum in China vervierfacht

Hier findet jedoch ein Veränderungsprozess statt: Während der Fleischkonsum in den Industrieländern stagniert, steigt er in Schwellen- und Entwicklungsländern. Als Beispiel dafür nannte Schlatzer China, wo sich dieser Wandel besonders deutlich zeigt: Dort hat sich der durchschnittliche Fleischverbrauch pro Person in den vergangenen 25 bis 30 Jahren von 14 Kilo auf 60 Kilo mehr als vervierfacht.

Diese Entwicklung beurteilt Schlatzer als besonders problematisch: Denn würden die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländer genauso viel Fleisch essen wie jene in den Industrieländern, wäre eine um zwei Drittel größere Landfläche nötig.

Fleischessen und Welthunger

Den bedenklichen Entwicklungen beim Fleischkonsum stehen weltweit 880 Millionen Menschen gegenüber, die Hunger leiden. "Genug hätten wir, aber es gibt ein Verteilungsproblem", sagt Schlatzer. Er geht davon aus, dass die Erde mit den gegenwärtigen Ressourcen neun Milliarden Menschen ernähren könnten.

Im Moment umfasst die Weltbevölkerung in etwa sieben Milliarden Menschen. Bis 2050 aber wird sie laut Schätzungen der UNO bereits auf 9,2 Milliarden ansteigen. Laut Schlatzer könnte die Umstellung auf pflanzliche Lebensmittel die Ernährungssicherheit, also die Verfügbarkeit von Nahrung und den Zugang zu Lebensmitteln, für alle Menschen gewährleisten.

Denn die Viehhaltung benötigt zwei- bis dreimal mehr Land, Wasser und Energie als die Produktion pflanzlicher Lebensmittel. Im Moment werden 40 Prozent der weltweiten Getreide- und 90 Prozent der Sojaernte für die Futtermittelproduktion verwendet.

Treibhausfaktor Viehzucht

Allein Österreich importiert im Jahr 500.000 bis 600.000 Tonnen Soja aus Argentinien, Brasilien und den USA für Tierfutter. Für ein Kilo Fleisch werden 4 bis 25 Kilo Getreide benötigt. Schlatzer sieht hier ein großes Potenzial, Ressourcen einzusparen: Würden die Erträge nicht an Nutztiere verfüttert werden, könnten 3,5 Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden.

Auch auf das Klima - und in weiterer Folge die Ernährungssicherheit - hat die Viehzucht erheblichen Einfluss. Laut Schlatzer verursacht die Viehhaltung 18 Prozent aller Treibhausgase. Das ist mehr, als der gesamte Transportsektor. Insgesamt würde sich der Klimawandel zwar auf die Landwirtschaft im Norden positiv auswirken, für den Süden habe er jedoch verheerende Folgen, was zu noch mehr Belastung für ärmere Länder führen wird.

Kulturgut Essen

Nach Schlatzers Vortrag erklärte Ruth Kutalek, dass Essen immer im Konnex zu unserer Kultur zu betrachten sei. Welche Tiere wir essen und welche nicht, ist stark kulturell verankert. Um das zu verdeutlichen, las sie eine Stelle aus dem Buch "Tiere essen" des US-Autors Jonathan Safran Foer vor.

In dieser Passage geht es darum, dass die jüdische Großmutter des Autors im Krieg ein Stück Fleisch von einem russischen Bauern bekommt. Sie isst dieses aber nicht, weil es nicht koscher ist. Als Begründung sagt sie: "Wenn nichts mehr wichtig ist, gibt es nichts zu retten." Dieses Beispiel zeigt, wie eng Essen und kulturelle Sozialisation zusammenhängen.

Vegetarismus als Alternative

Daraufhin erklärte der Gastronom Karl Wrenkh, dass er dem Thema Fleischessen ideologiefrei gegenüberstehe und vor allem zeigen wolle, dass man auch vegetarisch sehr gut kochen und essen kann. Sein Vater setzte bereits in den 1980ern auf vegetarische Küche und gilt bis heute als Pionier auf diesem Gebiet. Mittlerweile werden im Familienrestaurant Wrenkh im 1. Wiener Gemeindebezirk aber auch Fisch und Fleisch serviert.

Karl Wrenkh erzählte, dass sein Vater damals wegen seines vegetarischen Restaurants Drohbriefe von Uni-Professoren erhalten hatte. In diesen stand geschrieben, dass es verantwortungslos sei, ausschließlich vegetarische Speisen zu servieren. Denn bereits nach vier Wochen ohne Fleisch würden Mangelerscheinungen auftreten, und ein mehr als sechsmonatiger Verzicht auf Fleisch könne zum Tod führen.

Rindssuppe ist nicht vegetarisch

Generell ist es laut Wrenkh in Österreich besonders schwierig, die Menschen von vegetarischer Kost zu überzeugen, da hierzulande bereits eine Rindssuppe als vegetarisches Essen durchgehe, denn "da schwimmt ja kein Fleisch drin." Auch im Berufsverband der Köche werde die vegetarische Küche noch immer belächelt.

Nachdem sich alle Diskutanten zu Wort gemeldet hatten, stellte Irmgard Kirchner, Moderatorin der Runde und Chefredakteurin des "Südwind Magazins", die Frage, ob Vegetarismus angesichts der oben angeführten Argumente eine entwicklungspolitische Forderung ersten Ranges sei.

Ein Drittel weniger im Westen

Laut Schlatzer müsste der Fleischkonsum der westlichen Welt mindestens um ein Drittel reduziert werden. Außerdem soll anerkannt werden, dass man auch bei einer veganen oder vegetarischen Ernährung nicht vom Fleisch fällt. Dafür müsse jedoch mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, dass es ohne Fleisch nicht geht. So soll etwa mehr Know-how an Großküchen vermittelt werden, wie vegetarisches Essen schmackhaft zubereitet wird.

Außerdem müssten sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Subventionspolitik in der Lebensmittelindustrie ändern. Kampagnen wie "Fleisch bringt's" hält Schlatzer für "suboptimale Programme". Er plädiert für die Einführung eines Veggie-Day in mehreren Städten. Das ist eine Aktion, bei der dazu aufgerufen wird, zumindest an einem Tag der Woche auf Fleisch zu verzichten. Initiiert wurde der Veggie-Day in der belgischen Stadt Gent. In Oberösterreich gibt es bereits so einen "Fleischfrei-Tag", an dem sich unter anderem lokale Gaststätten beteiligen.

Keine politische Lobby

Nach dieser Einschätzung konnte sich auch das Publikum zu Wort melden. Madeleine Petrovic, Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins, bekräftigte Schlatzers Forderung, vegetarische Ernährungsweisen endlich auch realpolitisch zu unterstützen, um so einen Kulturwandel herbeizuführen. Ihrer Meinung nach passiere aber genau das Gegenteil, denn vegetarische und vegane Verhaltensweisen würden im Moment politisch blockiert und unterdrückt - etwa dadurch, dass derartige Restaurants gegenwärtig keine Lehrlinge zum Koch ausbilden dürften. Oder dass Sojamilch mit 20 Prozent Mehrwertsteuer belegt ist, Kuhmilch hingegen nur mit zehn Prozent.

Eine Lehrerin aus dem Publikum bestätigte die von Petrovic angesprochene Diskriminierung von Vegetariern. Sie ernährt sich selbst vegetarisch und hat lange Zeit das Fach Ernährung und Kochen unterrichtet. Dabei wollte sie den Schülern die Vorteile einer vegetarischen Ernährung näher bringen, wurde jedoch von Kollegen gezwungen, Fleischspeisen zu kochen. Letzten Endes ließ sie sich von einem Lungenfacharzt durch ein Attest bestätigen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keine Fleischdämpfe mehr einatmen darf.

Mehr Chancen durch weniger Fleisch

Zum Ende der Veranstaltung hielt Schlatzer fest, dass Vegetarismus zwar den Welthunger nicht beenden könne, der Fleischkonsum jedoch einen großen Einfluss auf die Ernährungssicherung habe. Kutalek wünscht sich eine generelle Umverteilung von Nord nach Süd, um die soziale Ungleichheit zu entschärfen.

Als Fazit zog Südwind-Verlagsleiter Rupert Helm folgenden Schluss: "Weniger Fleisch im Norden bedeutet mehr Chancen im Süden. Das heißt nicht, dass wir gar kein Fleisch mehr essen sollen, aber weniger." (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 24.10.2012)