Tyler Hamilton (gem. mit Daniel Coyle): "The Secret Race", 304 Seiten (Gebundene Ausgabe) Bantam, 2012

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Jeder will es schon immer gewusst haben, jetzt ist es amtlich: Lance Armstrong hat gedopt und ist nicht mehr siebenfacher Sieger der Tour de France. Der Mann, der den Krebs besiegte und für Millionen zum Helden wurde, steht vor den Trümmern seiner Karriere.

Maßgeblichen Anteil daran, dass die omertà, das quasi-mafiose Schweigegelübde, gebrochen wurde, hat Tyler Hamilton: vermeintlich sauberer Olympiasieger von Athen 2004. Der Sportjournalist Daniel Coyle half Armstrongs langjährigem Domestiken, sich eine Last von der Seele zu schreiben. Und diese muss immens gewesen sein.

Hamilton schreibt von seinem mühsamen Weg an die internationale Spitze und gibt unumwunden zu, fast von Anfang an systematisch gedopt zu haben - offenherzig wie jemand, der sich entschließt, sein patschertes Leben vor den Anonymen Alkoholikern auszubreiten.

Zwar betont Hamilton immer wieder, vor allem sich selbst anklagen zu wollen, um Vergebung finden zu können - das ist ja ein schöner Zug. Doch dann rechtfertigt er sich: Gedopt habe ohnehin jeder. So verharmlost er die betrügerische Energie vieler Profisportler - egal um welche Disziplin es geht.

Noch mehr als Hamiltons Geständnis geht aber die Schilderung der Person Lance Armstrong unter die Haut: Der Held, der auch viele Laien für den Radsport begeisterte und so für den Sportkonzern Nike zum idealen Werbeträger wurde, wird als herzloser Despot geschildert, der - wenn es nötig für die Karriere war - auch Freunde verriet, sie fallen ließ und sogar bedrohte, sollten sie jemals auspacken. Schlussendlich packten sie aber aus; Hamilton und 25 weitere Ex-Rennfahrer.

2004 stand Hamilton für kurze Zeit am Olymp. Seinen umso tieferen Fall schildert er in "The Secret Race" mit bemerkenswerter Ehrlichkeit, die ihm wehgetan haben muss - so wie damals, 2002, als er mit gebrochener Schulter den Giro d'Italia nicht nur beendete, sondern sogar Zweiter wurde. Schmerzhaft, Doping hin oder her. (Gianluca Wallisch - DER STANDARD, 23.10.2012)