Schlömer über den Fund in der WG seines Vizes: "Marihuana für den Eigenbedarf ist aus meiner Sicht kein strafrechtlich relevantes  Verhalten. Rücktritt kommt für mich nicht  infrage." 

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Nina Weißensteiner sprach mit Schlömer über die Notwendigkeit einer neuen europäischen Bürgerverfassung.

 

STANDARD: Die Piraten hierzulande fallen mehr durch sinnlose Streitereien auf als durch markante Umfragewerte. Haben Sie einen Rat für Ihre Parteifreunde mitgebracht?

Schlömer: Nein, denn diese von Ihnen als Probleme bezeichneten Vorgänge gehören einfach dazu. Streit bei den Piraten wird wegen der offenen Kommunikationskultur offen geführt. Andere Parteien streiten halt hinter verschlossenen Türen - und deswegen wahrscheinlich noch viel heftiger.

STANDARD: Aber mit diesen Vorgängen sind Sie auch bestens vertraut: Nach den vielen Wahlerfolgen in den deutschen Ländern grundelt Ihre Partei bei fünf Prozent. Sitzen zu viele Piraten vor dem Computer, anstatt für die Partei zu rennen?

Schlömer: Innerhalb eines Jahres sind wir in vier deutsche Land tage eingezogen - und seitdem werden wir an den etablierten Parteien gemessen, obwohl wir nicht diesselben Strukturen haben. Trotzdem: Wären jetzt Wahlen, wären wir im Bundestag.

STANDARD: Laut "Spiegel Online" hat die Polizei in Münster in der WG des Vize-Vorsitzenden der Piratenpartei, Markus Barenhoff, mehrere Gramm Marihuana und Gerätschaften zum Drogenanbau gefunden. Ist er rücktrittsreif?

Schlömer: Nach den mir vorliegenden Informationen liegt kein schwerer Verstoß vor, denn Marihuana-Konsum für den Eigenbedarf ist aus meiner Sicht kein strafrechtlich relevantes Verhalten. Ein Rücktritt kommt für mich nicht infrage.

STANDARD: Deutschlands Piraten fordern in ihrem Programm die Legalisierung von Drogen. Konsumieren Sie selbst Marihuana?

Schlömer: Nein.

STANDARD: Die heimischen Piraten haben bisher bloß ein fragmentarisches Programm zustandegebracht, das sich vor allem für mehr Demokratie einsetzt. Tun das nicht auch alle anderen Parteien?

Schlömer: Ich kann die Parteienlandschaft in Österreich nicht beurteilen. Aber wenn sich die österreichischen Piraten wie in Deutschland als sozialliberale Kraft in der Informationsgesellschaft definieren, haben sie gute Chancen, in den Nationalrat einzuziehen. Die Bürger wollen auch hier stärker beteiligt werden.

STANDARD: Ihre Piraten wiederum, heißt es, sind vor dem Parteitag im November mit dem wichtigen Wirtschaftsprogramm arg in Verzug. Wo liegt das Problem?

Schlömer: Wir haben bei einigen Themenfeldern noch Lücken. Das polarisierende Bild, das in der Öffentlichkeit entstanden ist, dass es bei uns einen Konflikt zwischen einer liberal-konservativen Wirtschaftsausrichtung und einer linksliberalen gibt, ist aber nicht richtig.

STANDARD: Ein Wirtschaftsprogramm kann ja nicht so schwierig zu erstellen sein - noch dazu, wo es die Piraten mit Urheberrechten ohnehin nicht so genau nehmen.

Schlömer: Da wird uns oft unrecht getan. Wir wollen nicht kommerziell illegale File-Sharer gutheißen, sondern dafür einstehen, dass Wissen, Information, Kultur für nicht kommerzielle Zwecke zur Verfügung gestellt werden, also ein Recht auf Privatkopie. Wenn Sie ein digitales Buch, das sie selbst besitzen, Ihrer Schwester weitergeben wollen, ist das in Deutschland nicht erlaubt. Hier wollen wir eine Reform.

STANDARD: Und der Schutz geistigen Eigentums?

Schlömer: Das ist ein überkommener Kampfbegriff, der nur zu einer emotionalisierten Diskussion führt. Wir Piraten sprechen von Immaterial-Gütern, den Begriff des geistiges Eigentums lehnen wir ab. Wenn ich Ihnen einen Apfel wegnehme, gut, dann ist das Diebstahl. Aber wenn ich eine Kopie von einem Ihrer Bücher mache, geht es um digitalen Tausch.

STANDARD: Wenn jemand mit Ihrem neuen Wirtschaftsprogramm hausieren ginge, ohne Pirat zu sein: Würde Sie das nicht auch stören?

Schlömer: Da haben wir sicher nichts dagegen. Denn wir sind ja sehr zielorientiert.

STANDARD: Europa steckt seit vier Jahren in der großen Krise. Wie kommt man da heraus?

Schlömer: Derzeit glauben hunderte Experten, die letzte Wahrheit gefunden zu haben. Warum nicht zugeben, dass man nicht mit Sicherheit weiß, wie das alles ausgeht? Zugleich sollte Europa ein Bekenntnis für Griechenland und alle Staaten, die in Bedrängnis sind, ablegen. Wir müssen jetzt zusammenhalten. Denn wir sind ja nicht nur eine Währungsunion, sondern eine politische Idee. Außerdem sollten wir die Krise nutzen, um die Vertragsgestaltung neu zu überdenken. Wir sollten alle Mitgliedsstaaten neu befragen und eine neue Bürgerverfassung erstellen.

STANDARD: Derzeit gilt gerade der Zusammenhalt als bedroht. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wurde von Demonstranten in Griechenland mit Nazisymbolen begrüßt. Aktionismus der übelsten Sorte?

Schlömer: Man muss schon Verständnis für die Menschen in Griechenland aufbringen, die haben dort gerade viel Sicherheit und Zukunft verloren und leben in prekären Umständen. Gleichzeitig muss bei aller Wahrung von Bürgerrechten, dem Demonstrationsrecht und dem Recht auf Meinungsfreiheit auch beachtet werden, dass man andere Menschen respekvoll und fair behandelt.

STANDARD: Apropos Respekt: Sobald dieses Interview auf derStandard.at erscheint: Befürchten Sie einen Shitstorm?

Schlömer: Ich bekomme immer einen Shitstorm! Das hat Tradition bei uns, denn der Chef macht in den Augen anderer immer alles falsch. Freilich steckt auch dahinter, dass sich andere am besten profilieren und bekannt werden können, wenn sie sich an der Funktion reiben. Aber ich kann trotzdem gut schlafen. (DER STANDARD, 20.10.2012)