Der Fiat-Konzern hat jetzt bald seine ganze Ami-Flotte europäisiert: Test positiv zu überraschen vermochte der Lancia Thema - und der Voyager ist, was er ist: groß und praktisch

Das Thema ist diesmal der Thema. Angesichts des Vorgängers wäre auch Antithesis eine Option gewesen, warum nur hat Lancia sich da anders entschieden?! Und schon steigen wir ein ins Flaggschiff. Großer Wagen - aber: Da drückt doch die Gurtpeitsche ein bisserl in die Seite. Das hat man gleich wieder vergessen, denn nun kommt das große Staunen:

Foto: der standard/fischer

Über den Ami (300C) mit deutschen Wurzeln (E-Klasse) haben sich die Innenausstatter von Lancia ausgetobt, da sind die fast unschlagbar, folglich ist das nun eine Limousine mit wahrhaft erlesenem Ambiente. Fein vernähte dunkelbraune und beige Leder, Alurahmen, dunkles naturbelassenes Holz, ein Genuss, und wie das riecht!

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Weiters haben wir einen repräsentativen 3,0-Liter-Diesel vom italienischen Motorenlieferanten VM (der je zur Hälfte Fiat und GM gehört), dazu Fünf-Gang-Automatik (bewährte Technik also), und die nicht vorhandene Start-Stopp-Funktion weist schon darauf hin, dass man sich nicht zerreißt um den ultimativen Sparrekord.

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Zum überaus entspannten Grundcharakter trägt ein Umstand ganz wesentlich bei: Gewaltentrennung. Vorn lenken, hinten antreiben. Hurra nämlich, neben BMW, Mercedes, Jaguar und Lexus gibt es für Freunde des Standardantriebs und der italienischen Lebensart jetzt eine Alternative namens Thema. Der komfortablen Grundsatzphilosophie folgt auch die Fahrwerksabstimmung, der Diesel kann auf Nachfrage ganz schön kräftig anreißen, eh klar bei 239 PS und 550 Nm, versieht aber ebenfalls lieber gelassen seinen Dienst.

Foto: der standard/fischer

Nutzwert ist eindeutig vorhanden, da gibt's enorm viel Platz und Fächer und Ablagen und großzügig bemessenen Kofferraum sogar mit umlegbaren Sitzen. Wenn sich mitunter die Alarmanlage unprovoziert aktiviert: Macht nix - selbst ein Auto darf sich mal einsam fühlen, vielleicht will der Thema ja nur, dass man auch abseits des Fahrbetriebs ab und an nach ihm sieht.

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Zeitgemäß ist die Rückfahrkamera, unzeitgemäß das Navi (von Garmin): Da ist ein wunderbar großer Bildschirm montiert, und dann diese grauenhafte Darstellung, grafisch wie farblich, dickes Minus. Die Sache mit dem Klima packt der große Lancia amerikanisch an: Kühlen heißt kühlen, und zwar ruck, zuck.

Foto: der standard/fischer

Sommers genießen wir zudem die Sitzkühlung, winters wärmen wir uns Gesäß und Rücken, und die Sitze vertrügen vielleicht etwas mehr Seitenhalt, passen aber ebenfalls zum Charakter des sanften Langstreckencruisers. In den Frontleuchten wurden dem Thema LED-Tagfahrlichter spendiert, die glitzern wie ein Diamantencollier, und was generell Design und äußeres Erscheinungsbild betrifft: Das ist eine ziemlich repräsentative Limousine, die uns in der Summe ihrer Eigenschaften ehrlich positiv überraschte.

Foto: der standard/fischer

"Sie trug den Becher in der Hand - ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -, so leicht und sicher war ihr Gang, kein Tropfen aus dem Becher sprang."

Foto: der standard/fischer

Der Einschub mit Hugo von Hofmannsthals wunderbarem Poem "Die Beiden" mag Sie jetzt vielleicht überraschen, aber damit sind wir beim Voyager und seiner großzügigen Cupholder-Ausstattung. Mann, so viele Becher kann man gar nicht wegtrinken, wie sich hier aufmagazinieren ließen.

Foto: der standard/fischer

Überhaupt: Wenn's Van und groß, richtig groß sein soll, ist der Voyager mit seinen 5,22 m Länge allererste Wahl. Da haben wir, in unserer bestens ausstaffierten Testwagenkonfiguration: Reihe eins mit zwei Einzelsitzen, dahinter Platz. Dann Reihe zwei, zwei Sitze, dahinter Platz. Dann Reihe drei, Dreierbank. So.

Foto: der standard/fischer

Und da ist für die meisten Gegner dann Schluss - dritte Reihe oder großer Kofferraum heißt dort die Option. Beim Voyager hingegen: dritte Reihe und dahinter Platz. Für einen tiefen, voluminösen Kofferraum. Nur ein VW-Bus bietet noch mehr Raum - kostet aber eine Stange Geld mehr. Außerdem hat dem der Voyager die Pkw-haftere Machart voraus. Die Kehrseite von so viel Van heißt Parkplatzsuche, auch in der Parkgarage wird's eng.

Foto: der standard/fischer

Äußerlich hat sich am Voyager wenig verändert, der Lancia-Grill weist ihn als italienische Beute aus, und für Österreich-Patrioten ist die bedauerliche Mitteilung zu machen, dass der Wagen nicht mehr in Graz gebaut wird, sondern in Windsor, Kanada.

Foto: der standard/fischer

Weil außen nun Lancia draufsteht, ist Lancia drin. Zwar ist der Voyager das, was man einen mobilen Gebrauchsgegenstand nennen kann. Ähnlich wie beim Thema spielen aber die Italiener beim Interieur ihre Hauptstärke aus - guten Geschmack. Alles fein gemacht, von der Materialauswahl bis zur Farbabstimmung, und als Schmankerl ist noch eine hübsche Lancia-Uhr in der Mitte platziert.

Foto: der standard/fischer

Gleich rechts vom Lenkrad sitzt der Automatik-Hebel, und wenn wir damit kurz das Fahrkapitel ansprechen: Der Voyager ist auch hier, was er immer schon war, ein (groß-)familienfreundlicher Gleiter. Die Sechs-Gang-Automatik geht bedächtiglich zu Werke (und ist mitunter etwas hektisch auf der Suche nach dem rechten Gang), der 163-PS-Diesel auch.

Foto: der standard/fischer

Großer Wagen, adäquater Durst: 11,0 l / 100 km im Testschnitt, was's wiegt, das hat's. Der Diesel stammt ebenfalls von VM, und was das Klangbild betrifft: Belcanto ist anders. Insgesamt aber hinterlässt der Voyager einen überaus harmonischen Gesamteindruck. (Andreas Stockinger, DER STANDARD, 19.10.2012)

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Lancia

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