Berlin/Brüssel - Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen neuen Solidaritätsfonds zur Unterstützung von Reformen in europäischen Krisenländern vorgeschlagen. Damit könne "ein neues Element der Solidarität" eingeführt werden, sagte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung im deutschen Bundestag vor dem am Abend in Brüssel beginnenden EU-Gipfel.

Aus dem Topf könnten zeitlich befristet und projektbezogen Gelder in Anspruch genommen werden. Gespeist werden könne der Fonds aus den Einnahmen der Finanztransaktionssteuer. Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück rief Merkel im Gegenzug zu größeren Anstrengungen bei der Eurorettung auf.

Kein Rettungsschirm sei zu groß, um Europa zu bewahren, rief Steinbrück beim ersten direkten Schlagabtausch mit der Kanzlerin im Parlament nach seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten. "Kleinmut würde dem nicht gerecht." Er ergänzte: "Deutschlands Zukunft ist Europa und in diese Zukunft werden wir investieren müssen." Die Kanzlerin solle den Menschen ehrlich sagen, dass Griechenland weitere Hilfe benötige. Wenn der erste Stein aus dem europäischen Haus gebrochen sei, würden weitere folgen. Steinbrück warf Merkel vor, im Sommer "ein Mobbing" in den eigenen Reihen gegen Griechenland zugelassen zu haben.

Merkel schlug als Voraussetzung zur Nutzung des Solidaritätsfonds vor, dass Mitgliedsstaaten mit der europäischen Ebene verbindliche Reformvereinbarungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit schließen und auch die nationalen Parlamente zustimmen. Nicht alle Länder seien in der Lage, gleichzeitig ihre Haushalte zu konsolidieren und Wachstum zu schaffen, begründete sie ihren Vorstoß.

Mehr als eine Währung

Die Kanzlerin rief zu weiteren Anstrengungen zur Überwindung der Eurokrise auf. Der Euro seit weit mehr als eine Währung. "Dieser Euro steht symbolhaft für die wirtschaftliche, soziale und politische Einigung Europas." Das am Abend in Brüssel beginnende Treffen werde nicht der letzte Krisengipfel sein. Zugleich gelte aber: "Manches ist bereits geschafft. Wir können die Konturen einer Stabilitätsunion bereits deutlich erkennen."

Im Streit um mehr Rechte für den EU-Währungskommissar gab Merkel Finanzminister Wolfgang Schäuble Rückendeckung. Deutschland sei dafür, der EU-Kommission bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin "echte Durchgriffsrechte gegenüber den nationalen Haushalten zu gewähren". Die Autorität dafür läge dann beim Währungskommissar. Ihr sei bewusst, dass es in vielen anderen Mitgliedsstaaten dazu noch keine Bereitschaft gebe. "Das ändert nichts daran, dass wir uns dafür stark machen werden."

Zur Kritik an Schäubles Vorschlag für eine Aufwertung des Währungskommissars sagte die Kanzlerin: "So bauen wir ein glaubwürdiges Europa nicht, wenn wir alles sofort vom Tisch wischen."

Bankenaufsicht auf der langen Bank

Erwartungen an eine rasche europäische Bankenaufsicht und damit die Möglichkeit direkter Finanzspritzen an Banken durch den Rettungsfonds dämpfte Merkel. Voraussetzung für eine direkte Rekapitalisierung sei eine wirksame Aufsicht. "Ich will es ganz deutlich sagen: Der bloße Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens für eine Bankenaufsicht reicht nicht aus."

Zunächst müsse eine arbeitsfähige und effektive Bankenaufsicht stehen. Dies sei kompliziert, aber leistbar. "Allerdings muss Qualität an dieser Stelle vor Schnelligkeit gehen." Aus Sicht Deutschlands ist der von der EU-Kommission angestrebte Start der Bankenaufsicht schon im Jänner 2013 unrealistisch.

Merkel bekräftigte: "Ich wünsche mir, dass Griechenland im Euroraum bleibt." Dies sei nicht nur im Interesse Athens, sondern der gesamten Eurozone und der EU. Die Kanzlerin machte erneut klar, dass nach Vorliegen des Troika-Berichts der Bundestag über die mögliche Auszahlung weiterer Tranchen zu entscheiden habe. Merkel bedankte sich auch für die Unterstützung von SPD und Grünen bei den bisherigen Rettungspaketen. An den entscheidenden Stellen habe sich der Bundestag immer zusammengerauft, "weil glücklicherweise die große Mehrheit des Hauses solche Gegensätze zurückstellt". (APA, 18.10.2012)