"Das Alte greift nicht mehr, das Neue gibt es noch nicht." - Autor Peter Unfried.

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Die "Süddeutsche Zeitung" warnte im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse eindringlich vor Vaterbüchern. "Völlig zu Recht", sagt Peter Unfried. Er hat gerade selbst ein Vaterbuch geschrieben - mit dem schönen Titel "Autorität ist, wenn die Kinder durchgreifen".

Die Anklage der "SZ" geht so: Die Männer machen jetzt auf Vaterschaft, wechseln zwei Monate lang Windeln, schreiben ein Buch darüber und glauben, dass die Welt genau darauf gewartet hat. "Ich bin nicht so einer, der andere mit seinen Gefühlen belästigt", verspricht Unfried im Vorwort seines Buches. Er hält Wort.

Peter Unfried ist Journalist bei der Berliner "taz". Er kann schreiben. Hinter seinen launigen Familienanekdoten stellt er die großen Fragen nach der "richtigen" Erziehung, nach dem Umgang mit "Regeln" und wie man die eigene Fehlbarkeit vor den Kindern nicht versteckt und dennoch Vorbild bleibt. Unfried beschreibt all das sympathisch zweifelnd, selbstironisch und ohne moralisierenden Tonfall.

Die Lügen des Lebens

Der Ich-Erzähler in Unfrieds Buch lebt mit seinen beiden Kindern und seiner Frau, genannt "die Macht", in Berlin-Kreuzberg. Alternatives Berliner Akademikermilieu. Die Kinder nennt er Adorno (11) und Penelope (13) - das ist natürlich ironisch zugespitzt. Doch Unfrieds Geschichten sind realistisch grundiert. Er reflektiert das Hadern mit der Vaterrolle, mit dem Vorbildsein, mit den richtigen Werten. "Im komplizierten Zusammenleben mit Kindern kommen die Lebenslügen der heute 40- bis 50-Jährigen ans Licht", sagt Unfried. 

In der Abgrenzung zu den eigenen Eltern und deren Erziehung stelle man irgendwann fest: Das Ich und die anderen, der Gegensatz aus Linken und Konservativen, das funktioniert so nicht. Im Buch sind alle auftauchenden Personen folglich irgendwie ambivalent. Selbst der nach Öko-Maßstäben böse SUV-Fahrer-Freund Minki ist im Grunde ein lieber Kerl. Der sich mehr in der Schule engagiert als manch anderer, zumindest mehr als der Autor selbst.

"Mit 40 spätestens sollte man sich daran gewöhnen, dass man nicht der Gute und alle anderen die Bösen sind", sagt Unfried.

Kein Masterplan für Erziehung

Er beschreibt das Vakuum, das zwischen der strengen Erziehung seiner Elterngeneration und der antiautoritären Reaktion darauf klaffe. Die Botschaft des Buches ist, dass es keinen Masterplan für die Erziehung gibt. "Das Alte greift nicht mehr, das Neue gibt es noch nicht im Sinne eines egalitären Zusammenlebens von Männern, Frauen und Kindern", sagt Unfried. "Die Vorstellung, es habe einmal eine glückliche Zeit gegeben, in die man zurückgehen kann, ist absurd. Man kann nur nach vorne gehen."

Das Problem sei eben, dass man mit Kindern das, was man sich vorgenommen hat, im entscheidenden Moment meist schon wieder über den Haufen geworfen hat. 

Tischmanieren 

Unfried plädiert dafür, Dinge aus der eigenen Erziehung zu übernehmen, die man im neuen Familienkontext als gut, weil stimmig und sinnvoll empfindet. Das dürfen durchaus Tischmanieren und gemeinsame Mahlzeiten sein. Was zähle, sei der gemeinsame Prozess im Alltag, nicht die leere Wert-Hülle oder gar das traditionelle Familienbild dahinter. "Das darf man ruhig als konservativ ablehnen."

Wenn man Pech hat, sind die Kinder sowieso konservativer als man selbst. Unfried beschreibt, wie Adorno und Penelope Radikalvegetarier werden und er selbst als gesundheitsbewusster Teilzeit-Fleischesser plötzlich recht alt aussieht. Wenn die Tochter Rauchen für das Allerschlimmste hält und felsenfest davon überzeugt ist, dass man ein Leben lang nur mit einem Menschen Sex haben darf - hat man dann eigentlich alles richtig oder alles falsch gemacht?

Geschwister-Rollen

Penelope (13) liest Goethe, was den Vater natürlich freut. Für Adorno (11) bleibt nur mehr die Rolle des Goethe-Blödfinders und Computerspiel-Junkies. 

Unfried schreibt:

"Adorno rebelliert gegen seine Schwester", sagte ich zur Macht. Das war mir als Psychologe glasklar. Er beobachtete misstrauisch, wie gut sie in der Schule war. Sie hatte aus seiner Sicht die Streberrolle besetzt und wurde dafür wertgeschätzt. Deshalb brauchte er etwas anderes. Deshalb sagte er auch so oft "bumsen" und "blasen". Weil sie Reden hielt, weigerte er sich, eine Rede zu halten. Aus Angst vor dem Vergleich. Und Lesen gehörte für ihn zum Streber-Inventar."

Unfried zeigt in seinem Buch, dass es möglich ist, unpeinlich über seine Kinder zu schreiben. Dass es im Alltagsleben viel Irrwitz und skurrile Momente gibt, die sich lohnen, festgehalten zu werden. Weil sie etwas darüber erzählen, worauf es im Leben und in der Familie wirklich ankommen könnte. (Lisa Mayr, derStandard.at, 17.10.2012)