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Eine Studie der Anästhesie-Schmerzambulanz der Charité Berlin zeigt, dass als häufigster Grund für Therapieuntreue  ihr Verhalten die Angst vor Risiken und Nebenwirkungen der Schmerzmittel angegeben wird.

Foto: APA/Marcel Mettelsiefen

Rund ein Drittel aller chronischen Schmerzpatienten, zeigt eine große europäische Studie, sind nicht behandelt. "In der Schmerzforschung beobachten wir eine Reihe verbreiteter Hürden auf dem Weg zu einer adäquaten Schmerztherapie, wie sie heute möglich ist", so Günther Bernatzky, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und Leiter des Salzburger Schmerzinstituts anlässlich der 12. Österreichischen Schmerzwochen in Wien. Zum einen seien institutionelle Hemmnisse wie eine unzureichende schmerzmedizinische Infrastruktur die Ursache, zum anderen in vielen Ländern ein eingeschränkter Zugang zu wirksamen Schmerzmedikamenten. Eine weitere Barriere habe laut Bernatzky mit persönlichen Einstellungen, Mentalitäten, Vorurteilen und Klischees der Patienten zu tun.

Die Bedeutung einer guten, an die Bedürfnisse der Schmerzpatienten angepassten Arzt-Patienten-Kommunikation wird in der modernen Schmerzmedizin im Gesamtkonzept der Multimodalen Schmerztherapie zunehmend erkannt und zum Thema medizinischer Fachkongresse. "Die Folgen guter Arzt-Patient-Gespräche sind Verbesserungen in der Lebensqualität der Patienten und ein hohes Einsparungspotential für das Gesundheitssystem", so Bernatzky.

Individuelle und mentalitätsbedingte Hürden

Viele Patienten nehmen ihre Medikamente nicht ein, sagen aber dem Arzt nichts davon, um diesen nicht zu beleidigen und um sich Diskussionen zu ersparen. Die mangelhafte Therapietreue in der Schmerztherapie hängt unter anderem davon ab, wie die Betroffenen über ihre Schmerztherapie denken, welche emotionalen Zugänge sie zum Thema Schmerz und Schmerztherapie haben und wie es ihnen bei der Anwendung von Schmerzmitteln körperlich geht.

Laut Bernatzky stehen viele Schmerzpatienten Medikamenten kritisch gegenüber, sie fürchten sich vor Nebenwirkungen und manchmal vor Abhängigkeit oder sehen Schmerzen als etwas, das "einfach zum Leben dazu gehört". Dazu können Vorstellungen kommen, die den Schmerz als etwas "von Gott gegebenes" begreifen. Manche fürchten, dass Schmerzen zuzugeben als "Charakterschwäche" gesehen wird.

Wie sich Patienten ihre Erkrankung erklären und die weitere Therapie vorstellen kann für die Haltung gegenüber dem Schmerz bedeutsam sein. "All das zu wissen, ist der Schlüssel für eine individuelle angepasste und erfolgreiche Schmerzbehandlung", sagt Bernatzky.

Multimodale Schmerztherapie

Zwei aktuelle Studienergebnisse zur Arzt-Patient-Kommunikation sind derzeit maßgeblich für die Schmerztherapie: Eine Studie der Anästhesie-Schmerzambulanz der Charité Berlin zeigt, dass seitens der Schmerzpatienten als häufigster Grund für die Therapie-Untreue Angst vor Risiken und Nebenwirkungen der Schmerzmittel angegeben wird. Die Schlussfolgerung der Studienautoren: Eine Steigerung der Adhärenz könnte über eine Verbesserung der Aufklärung und Kommunikation zum Beispiel zu Sorgen über Nebenwirkungen erfolgen.

Die zweite Studie kommt vom Uniklinikum Freiburg. 700 Patienten mit chronischem Rückenschmerz wurden über ihre kommunikativen Präferenzen beim Arzt-Patient-Gespräch befragt. Am wichtigsten war ihnen "eine effektive und offene Kommunikation des Arztes". Am wenigsten wichtig "mit dem Behandler über Persönliches zu reden".

Die auf dem IASP-Kongress (International Association for the Study of Pain) in Mailand kürzlich gegebene Empfehlung an Ärzte lautet zusammengefasst: "Stellen Sie Fragen, beziehen Sie Patienten ein, klären sie deren Familien auf". Im Rahmen der multimodalen Therapieprogramme wird das Prinzip der modernen Schmerzerklärung als Bio-psycho-soziales Modell ernst genommen.

Neben dem qualifizierten Einsatz medikamentöser und nichtmedikamentöser Methoden sind auch Zuwendung oder psychotherapeutische Interventionen von Bedeutung für den Therapieerfolg. Nicht zuletzt stellen frühere Therapieerfahrungen und damit verbunden die Erwartungshaltung des Patienten einen wichtigen Anteil am Erfolg dar. (red, derStandard.at, 16.10.2012)