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Bei der ersten Parade in der serbischen Hauptstadt im Jahr 2010 hatten sich Rowdys mehrstündige Straßenschlachten mit etwa 5.600 PolizistInnen geliefert. Mehr als 130 OrdnungshüterInnen und gut zwei Dutzend DemonstrantInnen wurden verletzt

Foto: ap / Darko Vojinovic

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Trotz heftiger Proteste fand die Fotoausstellung Ecce Homo in Belgrad statt.

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Als die für den 6. Oktober geplante Pride-Parade in Belgrad abgesagt wurde, feierte der serbische Premierminister Ivica Dačić einen großen innenpolitischen Sieg. Er konnte die radikalen Strömungen in Serbien wie auch die serbische Kirche zufriedenstellen und bezeichnete die Absage der Pride-Parade als "einen Sieg für Serbien". Die "bizarren" Vorwände für die Absage, wie sie der ehemalige Präsident Serbiens Boris Tadić nannte, waren große Sicherheitsbedenken, die nach einem angekündigten Selbstmordanschlag endgültig zum Verbot führten.

Serbische Kirche stellte sich quer

Dem vorausgegangen waren wütende Worte des Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche, Irinej, im Nachrichtenmagazin NIN, wo er die Absage der Parade verlangte. Irinej sprach von der "Krankheit" Homosexualität, die es zu überwinden gilt. Er verurteile zwar die Homosexuellen nicht, jedoch empfinde er Mitleid mit Personen, die an solchen Anomalien leiden, war in diesem Bericht zu lesen. Die "Parade der Schande/Sünde", so Irinej, sei nicht das richtige Zeichen in Zeiten, wo die Geburtenzahlen sinken. 

Die Kundgebung der LGBT-Community (LGBT steht für Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) schien der serbischen Kirche nicht alleine ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Sie echauffierte sich zudem über die Ausstellung "Ecce homo", der schwedischen Künstlerin Elisabeth Ohlson Wallin, die seit einigen Tagen in Belgrad ausgestellt ist. Zu sehen sind Werke, die sich kritisch mit der Kirche und ihre Haltung zur LGBT-Community auseinandersetzen.

Die Worte des Patriarchen und der innenpolitisch immer mächtiger werdende serbisch-orthodoxe Kirche wurden in der politischen Debatte zwar nicht als Argumente verwendet, stellten aber klar wie sie zu diesem Thema steht. Für die Absage mussten Sicherheitsbedenken und ein angeblich angekündigter Selbstmordanschlag herhalten. Die Polizei sagte in ihrer offiziellen Stellungnahme, dass ein Vater eines lesbischen Mädchens, die an der Parade hätte teilnehmen sollen, von einer Telefonzelle in Novi Sad der Polizei gedroht hatte, mit einem Sprengstoffgürtel zur Parade zu gehen und während er seine Tochter umarmt, beide in die Luft zu jagen und somit "all seine Probleme zu lösen".

Schweigende EU

Viel erstaunlicher als die Worte gegen die Parade waren die Aussagen des serbischen Premiers zur Absage. "Ein Sieg für Serbien" sei die Absage gewesen und er denke nicht, dass der Verbot der Parade die serbischen Beitrittsverhandlungen zur EU stören werde. Schließlich habe die EU das nie zur Bedingung gemacht, "für die EU sind andere Themen wichtiger", empfindet Dačić. Falls dies aber eine Bedingung für den Beginn der Beitrittsverhandlungen sei, habe er kein Problem damit, die EU soll es dann aber auch so kommunizieren, ließ der serbische Premier durchblicken.

Die mittlerweile mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU hat zwar drei EU-Parlamentarier, nämlich Marije Cornelissen aus den Niederlanden, Jelko Kacin aus Slowenien und Keith Taylor aus Großbritannien zur geplanten Parade entsendet, jedoch hat sie es verabsäumt, Serbien die Dringlichkeit der Einhaltung von Menschenrechten für den Beginn von Beitrittsverhandlungen vor Augen zu halten.

Druck der EU

Dass der Druck der EU sehr wohl die Beitrittskandidaten zur Raison bringen kann, zeigt der Fall Kroatien sehr gut. Bei der ersten dalmatinischen Pride Parade in Split im Jahr 2011 kam es, ähnlich wie im Belgrad 2010, zu großen Ausschreitungen. Rund 10.000 Demonstranten, die sich zum Großteil aus militanten faschistischen Gruppierungen rekrutierten, bewarfen die rund. 300 Teilnehmer der Parade mit Steinen und versuchten die Polizeibarrieren zu durchbrechen. Über 100 Verletzte waren die Folge. Die Rüge durch die EU nahm sich Kroatien zu Herzen und die nur eine Woche später stattfindende Parade in Zagreb wurde zum „turning point" in der Geschichte der Pride Paraden in Kroatien. Die Medien und Politiker, inklusive der Staatsspitze, riefen unisono zur Solidarität mit der LGBT-Community auf und die effiziente Arbeit der Polizei ermöglichte die Abhaltung der bis dahin größten Pride Parade in Kroatien mit ca. 3800 Teilnehmern. Die Zuschauer entlang des Weges unterstützten lauthals die Kundgebung.

Heuer, bei der zweiten dalmatinischen Pride Parade versuchte die Stadtregierung Splits die Teilnehmer an der Abhaltung der Abschlusskundgebung in der Innenstadt von Split zu hindern, das Innenministerium Kroatiens sprach jedoch ein Machtwort und gestattete die Abschlussversammlung im Herzen der Altstadt. Die Veranstaltung, an der rund 700 Menschen aus verschiedenen Ländern teilnahmen, verlief ohne größere Zwischenfälle und wurde sogar beim privaten TV-Sender NOVA TV im Internet übertragen. An der Zagreber Pride 2012 nahmen sogar 4000 Menschen teil und für 2013 ist auch eine Pride Parade in der drittgrößten kroatischen Stadt, Rijeka, geplant.

Klage vor dem Verfassungsgericht

Die Gründe die der serbische Premier Ivica Dačić für die Absage nannte, halten die Organisatoren der Belgrader Pride lediglich für einen Vorwand, denn schließlich konnte auch die Eröffnung der Ausstellung "Ecce homo" ohne Zwischenfälle abgehalten werden. Ivica Dačić empfindet diese Ausstellung als "direkte Provokation", wie in der Boulevard-Tageszeitung Blic zu lesen ist. Die LGBT-Aktivisten, die die Ausstellung nach Belgrad gebracht hatten, seien dadurch genau so schuld an der Absage, wie die die mit Gewalt drohen. Wie schon im Jahr 2009 werden die Veranstalter der Belgrader Pride vor dem serbischen Verfassungsgericht die Absage der Pride anfechten. Damals erklärte das Verfassungsgericht die Absage für verfassungswidrig. Den serbischen Premier Ivica Dačić dürfte das nur wenig stören, denn rechtliche Konsequenzen wird das für ihn keine haben.

Entschlossenere EU wäre von Nöten

Minderheitenrechte sind in den meisten Balkan-Ländern ein Problem. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine entschlossene Haltung der EU Staaten dazu bringen kann, diese Probleme anzugehen. Auch wenn die Pride Parade in Belgrad heuer nicht mehr nachgeholt werden kann, so könnte eine interessierte und resolutere EU die Einhaltung von Menschenrechten, inbegriffen die Abhaltung der Pride, zur Bedingung für Beitrittsverhandlungen mit Serbien festlegen. Wenn schon der serbische Premier damit kein Problem hätte, worauf wartet die EU dann noch? (Siniša Puktalović, 15.10.2012, daStandard.at)