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Syrische Zivilisten, aber auch Soldaten flohen vor Kämpfen im südlichen  Abschnitt der Grenze auf die türkische Seite in das Dorf Hacipasa.  Den syrischen Grenzort nahmen die Rebellen ein.

Foto: Reuters/Orsal

Der Flüchtlingsstrom aus Syrien hält an.

 

"Zeigt die Munition!", steht herausfordernd auf der Titelseite einer linken türkischen Tageszeitung, die ein Verkäufer an einem U-Bahn-Ausgang auf dem Istanbuler Taksim-Platz lauthals anpreist. Doch die türkische Regierung schweigt sich bisher weiter über den genauen Inhalt der Fracht aus, die an Bord der Passagiermaschine der Syrianair war.

Türkische Kampfjets hatten die Maschine vergangene Woche auf ihrem Flug von Moskau nach Damaskus in Ankara zur Landung gezwungen. Die in Militärfragen gewöhnlich gut unterrichtete Zeitung Vatan wusste am Sonntag gleichwohl Genaueres: Zwei Teile eines Radars waren in den beschlagnahmten Frachtkisten verpackt. Sie waren für ein hochmodernes russisches Luftabwehrsystem bestimmt, mit dem die syrische Armee bereits seit Jahren bestückt wird.

Eine "Munitionslieferung" an das syrische Verteidigungsministerium aber, von der Premier Tayyip Erdogan gesprochen hatte, gibt es offenbar nicht. Ein Sicherheitsrisiko für die Passagiere der Maschine und für die Türkei, in deren Luftraum die Maschine flog, bestand demnach auch nie.

Der Flop mit der abgefangenen Syrianair-Maschine wird die Kritik in der Türkei am Kurs der Regierung Erdogan nur anschwellen lassen. 56 Prozent der Türken zweifeln an der Richtigkeit der Syrien-Politik, nur 28 Prozent halten sie für zielführend, so hatte eine Umfrage eines türkischen Meinungsforschungsinstituts im vergangenen Monat ergeben - noch vor der Eskalation der vergangenen Tage. Seither hat das Parlament mit Mehrheit der Regierungs partei AKP und der Nationalisten von der MHP der Armee eine Vollmacht für eine militärische Intervention in Syrien gegeben; 250 Panzer wurden zudem nun an die Grenze verlegt.

Lager für Assad-Soldaten

Wie chaotisch die Situation dort mittlerweile wird, zeigte ein Vorfall vom Samstag: Elf syrische Soldaten flüchteten nach Gefechten in dem Grenzstädtchen Azmarin auf die türkische Seite, um - Medienberichten zufolge - einer Gefangennahme durch die syrischen Rebellen zu entgehen. Türkische Soldaten nahmen daraufhin die Regierungssoldaten fest; fünf von ihnen wurden zur Behandlung in ein Spital gebracht. Die türkische Regierung will nun angeblich auch ein Lager für "geflohene" syrische Soldaten einrichten. Es gibt bereits ein Lager für "übergelaufene" Soldaten, die sich den Rebellen anschließen. Ein Gefangenenlager für syrische Soldaten würde bedeuten, dass die Türkei im Kriegszustand mit Syrien ist.

Wegen der Syrien-Politik kommt vor allem der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu nun direkt ins Visier der Opposition. Davutoglu sei "ein Idiot, und alle Welt weiß das", sagte der Chef der größten Oppositionspartei, Kemal Kiliçdaroglu, in einer Rede vor Abgeordneten seiner Fraktion.

Einen neuerlichen Misstrauensantrag überstand der Außenminister vergangenen Freitag aber problemlos dank der Mehrheit der Regierungspartei im Parlament. Ein Aufruf zur Besonnenheit, den der deutsche Außenminister Guido Westerwelle bei einem Besuch in Istanbul an seinen Kollegen richtete, ging an Davutoglu offenbar vorbei: Wenn es wieder eine Grenzverletzung gebe, werde die Türkei sofort reagieren, warnte der türkische Außenminister. (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, 15.10.2012)