Werner Faymann sitzt in der ersten Reihe und lächelt. Lächelt, wenn der Kasino-Kapitalismus gegeißelt wird, lächelt, als die mangelnde Diskussionsbereitschaft in der Partei beklagt wird. Und als Mut und Offenheit gefordert wird? Lächelt er. Und bleibt wie angewurzelt fast den ganzen Parteitag über auf seinem Platz in der ersten Reihe sitzen.

Der Kanzler und Parteichef redet nicht mit den Leuten. Nicht mit den Medien. Nicht einmal mit den eigenen Leuten, den Funktionären. Sagt nichts, unterhält sich nicht, bleibt in der ersten Reihe sitzen. Und so bleibt ihm nur eine einzige Regung nach außen hin, als am Samstag sein Wahlergebnis verkündet wird. Faymann erhält am Parteitag in St. Pölten 83,4 Prozent Zustimmung, das ist das schlechteste Ergebnis eines SPÖ-Chefs.

Er lächelt.

Faymann befindet sich in einer Art Permanenz-Defensive. Er bewegt sich möglichst wenig, um nur ja keine Fehler zu machen. Er kommuniziert nicht, er verlautbart. Auch am Parteitag. "Wir lassen uns nicht vorführen", sagt er zum Abdrehen des Untersuchungsausschusses. "Es gibt keine guten und keine schlechten Inserate", sagt er zur Inseratenaffäre.

Aber auch die Genossen finden es nicht sympathisch, wenn sich einer die Berichterstattung zu kaufen versucht. Schöner wäre es, wenn er etwas zu sagen hätte. Und die Genossen finden es auch nicht sympathisch, ein parlamentarisches Kontrollgremium stillzulegen. Mutiger wäre es gewesen hinzugehen und zu argumentieren. Werte haben, Haltung zeigen, dafür einstehen, das gefiele auch den Genossen. Einige von ihnen nehmen sich am Samstag das Recht heraus, Haltung zu zeigen. Sie stimmen gegen ihren Parteivorsitzenden Werner Faymann.

Die verordnete Parteitagsharmonie kommt gar nicht gut an. Der Antrag von Gabi Burgstaller zur Einführung von Studiengebühren wurde in eine Arbeitsgruppe verräumt - bloß nicht streiten. Auch über das heikle Thema Wehrpflicht darf nicht diskutiert werden. Es gibt da in der Partei sehr unterschiedliche Standpunkte. Aber Faymann will sie nicht hören. Er ließ sich vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl in eine allzu eilige Kampagne zur Abschaffung der Wehrpflicht hetzen, ohne dafür gerüstet zu sein. Jetzt heißt es "Augen zu und durch". Aber die Genossen laufen nicht. Nicht für Faymann. Das hat er am Samstag vor Augen geführt bekommen.

Der Parteichef hemmt seine Partei. Ein Jahr vor den Nationalratswahlen ist das bitter. Für ihn selbst, aber auch für die Partei.

Faymann wird sich ernsthaft etwas überlegen müssen. Er wird aus seiner selbstgewählten Defensive herauskommen müssen, er wird ein bisschen mutiger und offen sein müssen, er muss sich Gesprächen stellen, den Genossen stellen, den Medien stellen, der Kritik stellen. Und er wird ein paar Themen auf den Tisch legen müssen. Mit einem Retro-Klassenkampf, wie er ihn in einer uninspirierten Parteitagsrede wiederzubeleben versucht hat, wird die SPÖ im Wahlkampf niemanden begeistern können.

Die Genossen haben in St. Pölten gezeigt, dass sie Demokratie sehr wohl ernst nehmen, sie haben ihrem Unmut eine Stimme gegeben, sie haben den Konflikt mit Faymann gesucht. Dieser Auseinandersetzung muss sich der Kanzler jetzt stellen. Oder er bleibt lächelnd in der ersten Reihe sitzen und lässt niemanden heran. Dann hat er schon verloren. (Michael Völker, DER STANDARD, 15.10.2012)