Bielefeld - Eine etablierte nicht-medikamentöse und nicht-chirurgische Behandlungsoption bei Belastungsinkontinenz ist das Beckenbodentraining mit oder ohne Biofeedback. Ziel ist es, die Beckenbodenmuskulatur zu stärken und die Koordination der bewussten Beckenbodenkontraktionen zu verbessern, damit bei drohendem Urinverlust die Harnröhre verschlossen werden kann.

"Eine solche Strategie setzt voraus, dass Frauen kognitiv gesund sind und aktiv mitarbeiten", sagt Werner Bader, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion (AGUB) der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe . Der Einsatz von Biofeedbackgeräten oder Elektrostimulation kann das Erlernen der willkürlichen Kontraktion erleichtern. Das Verfahren muss nach Meinung des Experten aber konsequent und langfristig angewandt werden, um spürbare Erfolge zu erzielen.

Schwache Stromimpulse stimulieren dabei die Beckenbodenmuskulatur und trainieren diese auf passive Weise. Zusätzlich kann die Anwendung von mechanischen Hilfsmitteln (Pessare), die in die Scheide eingeführt werden und durch Druck von unten die Harnröhre bzw. die Blase bei Belastung stabilisieren, sinnvoll sein.

Je jünger, desto größer der Nutzen

Eine Meta-Analyse verschiedener Studien hat ergeben, dass ein Beckenbodentraining wirksamer ist als eine Nichtbehandlung. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass gerade jüngere Frauen zwischen 40 und 60 Jahren mit reiner Belastungsinkontinenz den größten Nutzen aus dem Training ziehen können. Bei konsequentem Training liegen die Heilungs- beziehungsweise Besserungsraten zwischen 46 und 75 Prozent. Nebenwirkungen sind keine zu befürchten.

Der Erfolg der Methode hängt stark von der Motivation und der aktiven Mitarbeit der Patientin ab. Für viele Frauen ist es schwierig, das Übungsprogramm längerfristig konsequent durchzuführen: Ein Großteil der Betroffenen bricht das Training im Laufe der Zeit ab. "Ein erster Erfolg zeigt sich frühestens nach sechs Wochen, aber erst nach drei bis vier Monaten kann bewertet werden, ob sich die Inkontinenz tatsächlich messbar gebessert hat", so Werner Bader.

Allerdings schafft es nur die Hälfte der Frauen, das Beckenbodentraining alleine oder nach kurzer Anweisung zu erlernen und dann selbständig weiterzuführen: Nach zehn Jahren sind zwei Drittel der Patientinnen (66%) mit dem Ergebnis unzufrieden. Der Experte empfiehlt daher eine professionell angeleitete Physiotherapie, um die Erfolgsrate zu erhöhen.

Operation sollte die letzte Option sein

Eine weitere Behandlungsmöglichkeit bei der Inkontinenz sind Medikamente. "Als Standard hat sich heute bei allen postmenopausalen Patientinnen eine lokale Östrogenisierung mittels eines östriolhaltigen Präparates etabliert", erklärt Bader. Darüber hinaus gibt es eine spezifische Therapie zur Behandlung der Inkontinenz durch den Serotonin-Reuptake-Hemmer Duloxetin. "Wenn nicht Nebenwirkungen beziehungsweise Kontraindikationen den Einsatz verbieten, ist die Verordnung von Duloxetin auch mit einer sehr langfristigen Option eine sinnvolle Maßnahme", so der Mediziner.

Erst dann, wenn es nicht möglich ist, eine Inkontinenz mit physiotherapeutischen und medikamentösen Mitteln zu beherrschen, sollte ein operativer Eingriff zur Diskussion stehen. Ziel sei hier aber nicht eine Maßnahme an der Harnröhre selbst, sondern ein Wiederaufbau und eine Stabilisierung der Bänder und der Muskulatur des Beckenbodens, meint Werner Bader. (red, derStandard.at, 12.10.2012)