Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann: "Das immergleiche Erfolgsmuster perpetuieren zu wollen führt zu künstlerischem Stillstand."

Foto: Burgtheater / Reinhard Maximilian Werner

STANDARD: Ihr Vertrag wurde bis 2019 verlängert, Sie werden dann zehn Jahre Burgtheaterdirektor gewesen sein - nur um drei Jahre kürzer als Claus Peymann.

Hartmann: Naja, den knacken wir auch noch. (lacht) Einstein hat ja gesagt, Zeit wäre relativ. Das erlebe ich am Burgtheater mehr als je in meinem ganzen Leben zuvor. Ich war vier Jahre Direktor in Zürich - auf Wien umgesetzt wäre das nun schon mein letztes Jahr.

In Wien fühle ich mich aber immer noch so, als wäre ich gerade erst angekommen. Und man begegnet mir immer noch als dem Mann, auf den man neugierig ist. In Zürich hatte ich das Gefühl, dass es an der Zeit wäre, abzufahren, während mir in Wien schon die Zeit ausgeht, weil ich noch so vieles vorhabe. Mein Fieberkopf ist so brandheiß, ich muss ständig Sachen erfinden und hoffe, dass ich alles in den nächsten sieben Jahren unterbringen kann.

STANDARD: Haben Direktoren kein Ablaufdatum? Wie lange sollte man an einem Haus bleiben?

Hartmann: Solange einem etwas einfällt.

STANDARD: Das glauben doch alle Direktoren von sich. Fehlt einem selbst nicht die kritische Distanz?

Hartmann: Das müssen andere beurteilen. Aber die Verlängerung hängt auch damit zusammen, wie sich das Ensemble entwickelt, wie die Stimmung im und ums Haus herum ist, wie Presse und Publikum reagieren. Wir haben gerade die Rekordzahl von 439.000 Besuchern!

STANDARD: Wie misst sich Erfolg am Theater? Gute Kritiken? Hohe Besucherzahl?

Hartmann: Theater wird aus öffentlichen Geldern erhalten, es muss sich nicht nur am Box Office behaupten wie einst ein Shakespeare und Molière. Die Qualität wird nicht nur an der Abendkasse überprüft. Das Theater lebt vom öffentlichen Nachhall, von der Resonanz, auch der Medien.

STANDARD: Der Nachhall in den Medien ist eher zwiegespalten.

Hartmann: Das muss er auch. Einen klatschenden Gleichklang gibt es nur bei den Faschisten. Es gibt Leute, die mir vorwerfen, zu erfolgsorientiert zu sein. Aber es gibt auch welche, die genau schauen und sehen, dass ich andere formale Ästhetiken für das Theater finde, die es in dieser Art noch nicht gab.

STANDARD: "Unspannender Spielplan, zu viel Boulevard": Haben Sie die medialen Watschen Ihres Vorgängers Klaus Bachler geschmerzt?

Hartmann: So was gehört sich eigentlich nicht. Wenn Herr Bachler, wie er sagt, nie hier war und daher auch nichts gesehen hat: Wie will er dann über unsere Programme reden können? Ich finde seine Kritik auch dem Theater in der Josefstadt gegenüber äußerst despektierlich.

STANDARD: Welche Motive vermuten Sie hinter diesen Attacken?

Hartmann: Vielleicht Wut oder Rechtfertigungsdrang, weil es unter meiner Direktion so gut läuft und damit sozusagen seine Bilanz nachträglich verschlechtert wird. Das andere wäre ein kulturpolitisches Motiv: Dass er versucht, in Österreich Gehör zu bekommen, das er ja wohl in der Zeit, als er hier war, nicht so wirklich hatte. Er war ja nicht sehr bekannt. Vielleicht versucht er, sich als Staatsoperndirektor in Position zu bringen und glaubt, so könne er wieder relevant werden.

STANDARD: Haben Sie Lust auf Revanche?

Hartmann: Es ist prinzipiell nicht mein Stil, über Vorgänger oder Nachfolger herzuziehen, das habe ich auch in Bochum und Zürich so gehalten. Als ich an die Burg kam, fand ich etliche Schwachstellen vor, ich habe aber der Lust, sie bloßzulegen, nicht nachgegeben. Doch wenn Herr Bachler nun meint, laut herumkrähen zu müssen, dann kann ich meinen Stil ja auch ändern.

STANDARD: Also doch Hahnenkampf zwischen Wien und München?

Hartmann: Jetzt stellen Sie unser Licht mal nicht unter den Scheffel. Ich kenne ihn aus der Zeit, als er mir anbot, Oberspielleiter bei ihm zu werden. Das habe ich nicht angenommen, vielleicht hat das seinen Unwillen erregt. Aber man muss vielleicht mit harten Fakten und Zahlen kontern: Bachler redet von Boulevardisierung an der Burg - er hat de facto mehr Boulevardstücke gemacht als wir. Und wir haben mehr als doppelt so viele Ur- und Erstaufführungen: Er hatte in seinen ersten vier Jahren zehn, wir 24.

STANDARD: Was hat sich sonst noch verändert, außer dem Namensschild zum Direktionsbüro?

Hartmann: Wir sind viel experimentierfreudiger, wobei ich dieses abgegriffene Wort nicht mag. Wir entwickeln das Theater, dehnen es aus in verschiedenste Peripherien des Ästhetischen. Ob das jetzt Alvis Hermanis ist, Jan Lauwers, David Bösch oder ich selbst: Es ist ein Kaleidoskop verschiedenster Theatersprachen, verschiedenster Möglichkeiten, wie Theater mit unserer Wirklichkeit heute umgehen kann.

STANDARD: Sie proben gerade Tschechows "Onkel Wanja", die Besetzung ist vom Feinsten ...

Hartmann: Stimmt. Selbst wenn man ganz Hollywood zum Cast hätte: Diese geballte Qualität gibt es auf dieser Welt nicht noch einmal.

STANDARD: Gewährt Direktor Hartmann dem Regisseur Hartmann freie Starwahl und erst dann dürfen andere Regisseure ihre Wünsche anmelden?

Hartmann: Nein. Es stimmt zwar, ich wollte schon lange Onkel Wanja mit Gert Voss inszenieren. Aber die übliche Reihenfolge ist genau umgekehrt, weil ich als Direktor die Probleme und Anforderungen des Hauses kenne. Oft schäme ich mich, was ich früher, als ich noch nicht Direktor war, an anderen Häusern frech gefordert habe.

Es ist lächerlich, wenn Regisseure mit Riesenanforderungen daherkommen, gerade bei den älteren gibt es dieses Gebahren. Das finde ich widerlich, diese Machowelt ist vorbei. Heute entstehen Dinge im kollektiven Suchen.

STANDARD: Warum "Onkel Wanja"?

Hartmann: Ich brauche einmal im Jahr einen starken Partner wie Tschechow, der erprobt und gut ist. Und wo ich versuche, ihm zu größtmöglicher Transparenz zu verhelfen. Bei Tschechow ist ja das Problem, das viele so vieles für möglich halten. Ich nicht. Ich glaube, es geht auf böse Weise darum, sich gegenseitig das Leben um die Ohren zu hauen, um Vergeblichkeit: Das ist so erschütternd, dass es einem nach der Probe mitunter richtig schwer fällt, weiterzuleben.

STANDARD: Was überwiegt: Spaß oder Depression?

Hartmann: Kunst hat bei mir immer mit Not oder Depression oder Abgrund zu tun. Aber man muss auch lachen können. Das passiert bei Tschechow zwangläufig - mir jedenfalls. Diese Tradition der 80er, 90er Jahre im deutschen Stadttheater, elegisch und weißgewandet in Fauteuils zu sitzen und unter falschen Birkenbäumen zu schwadronieren, wie schwierig alles ist, das Leben und das Nichtstun und die Sehnsucht nach Moskau: Das geht heute nicht mehr. Ich versuche, Härte und Schärfe rauszuschälen.

STANDARD: Sie inszenieren in dieser Saison auch noch Grillparzers "Ahnfrau" ...

Hartmann: Dieses Stück habe ich nicht etwa gewählt, weil ich glaube, damit einen besonderen literarischen Schatz zu heben. Sondern weil sich dieser Ballaballa-Text am besten für ein formales Experiment eignet.

STANDARD: Und die Uraufführung der Theaterfassung des Jelinek-Textes "Schatten (Elektra)"?

Hartmann: Das wird ein harter Brocken, Jelinek wird das Zentrum meiner Arbeit als Regisseur in der kommenden Spielzeit. Ich bin existenziell dran interessiert, Theater auszuprobieren, das nicht auf den ersten Blick funktioniert.

STANDARD: Was machen Sie lieber: Komödie? Tragödie?

Hartmann: Es ist leichter, aus einer Tragödie eine Komödie zu machen. Im unglücklichsten Fall wird aus einer Komödie eine Tragödie.

STANDARD: Ist Ihnen das schon passiert?

Hartmann: Natürlich. Alles ist schon passiert. Ich bin schon durch alle Niederlagen gewatet.

STANDARD: Sie haben 19 Premieren, darunter viele Ur- und Erstaufführungen auf dem Spielplan. Viele Stücke sind noch unbesetzt. Haben Sie da als Direktor geschlampt?

Hartmann: Nein, es ist wie immer. Manchmal sind wir größere Hasardeure, als Sie sich vorstellen können.

STANDARD: Besuchen Sie alle Proben an Ihrem Haus?

Hartmann: Nein. Ich geh nicht zu allen Proben. Wichtig ist, die Konstellationen zu schaffen. Ich bin Alchimist: Ich suche die Substanzen zusammen, von denen ich glaube, dass sie explosiv sind. Manchmal bitten Schauspieler und Regisseure, dass ich vorbeikomme. Darüber freu ich mich. Aber ich bin niemand, der Kontrolle ausübt.

Das ist ja eine Versuchung für Intendanten, sich als Big Daddy aufzuführen und derart Macht und Autorität zu installieren. Wenn etwas im Entstehen ist, kann man leicht den Finger in die Wunden legen und sagen, was verändert werden müsste. Dafür wird man dann auch bewundert.

STANDARD: Als was werden Sie denn gesehen: als Chef? Verbündeter? Klagemauer?

Hartmann: Alles. Und noch viel mehr. Ich bin auch Abfalleimer, Grund für alle Probleme, Nichtermöglicher, Verhinderer, der nicht die richtigen Rollen bereit hält. Ich bin vom Temperament her aber eher ein Choleriker. Ich kann in der Zwischenzeit ganz gut abschätzen, wo man die Konfrontation sucht und wo man sagen muss, das sitzen wir aus. Es ist eine Gratwanderung, die wesentlich mit meinem Beruf zu tun hat. Aber vorrangig interessiert mich, was auf Proben entsteht, was wir miteinander erfinden.

STANDARD: Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Intendant und Regisseur: Was würden Sie aufgeben?

Hartmann: Mein Beruf ist Regisseur und wird es auch immer bleiben. Vielleicht wollen Sie mir ja einen Berufswechsel vorschlagen, vom Regisseur zum ausschließlichen Direktor?

STANDARD: Unvorstellbar?

Hartmann: Ja. Ich wundere mich oft über Kollegen, die nur ein Theater leiten, aber nicht inszenieren. Eigentlich hatte es am Burgtheater immer Tradition, dass es einen inszenierenden Direktor gab. Ich muss und darf hier auch inszenieren.

STANDARD: Für Ihre Regiearbeiten ernten Sie oft Zuschreibungen wie Wirkungsvirtuose oder Wirkungsmechaniker: Empfinden Sie das schmeichelhaft oder kränkend?

Hartmann: Ich versuche es als Kompliment zu sehen. Theater ist eine kommunikative Kunst, wir arbeiten mit Menschen, die wir in den Bann ziehen wollen. Anders als bei einem Maler oder Dichter ist Theater eine Kunst, die nur im Augenblick und in den Köpfen derer stattfindet, die dabei zusehen.

STANDARD: Also alles bestens?

Hartmann: Nein! Zu glauben, man wisse, wie es geht, ist für die Kunst lebensgefährlich. Deshalb hat mich Jürgen Gosch so fasziniert, der sich ja gewissermaßen gehäutet hat. Er verschwand fast zwanzig Jahre in der Versenkung und kam als Regisseur wieder, der die Dinge völlig anders anging. Er machte bewusst große Fehler, um das wegzubekommen, was ihn vorher ausgemacht hatte. Er wollte sein Handwerk verlernen, weil seine eigene Virtuosität wie ein Mühlstein um seinen Hals hing.

STANDARD: Geht es Ihnen auch so?

Hartmann: Jedenfalls stelle ich mein Können immer wieder auf den Prüfstein, probiere Dinge aus, die ich vorher noch nie versucht habe, etwa bei Krieg und Frieden. Ich muss wagen, Dinge zu tun, von denen ich keine Ahnung habe. Sich auf sein Handwerk zu verlassen und wie ein Mosaik das immergleiche Erfolgsmuster perpetuieren zu wollen, führt zu einem künstlerischen Stillstand. Diese Lektion habe ich sehr früh gelernt. Ich fühlte mich schon als junger Mann relativ alt.

STANDARD: Fühlen Sie sich jetzt jung?

Hartmann: Naja, ich fühle mich in meinem Alter ziemlich angekommen und möchte kein anderer sein als der ich bin. Meine Jugend ist keine Zeit, auf die ich dankbar und glücklich zurückschaue.

STANDARD: Aber nun schwimmen Sie doch im Erfolgsstrom des Lebens: Besucherrekorde, Vertragsverlängerung ...

Hartmann: Ich bin ein Clown, der im Verborgenen heult, weil er sonst nicht lustig sein kann. Künstlerische Prozesse entstehen nur aus Depression. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem ausgesöhnten Zustand je ein Kunstwerk entsteht.

STANDARD: Sind Sie als Theaterdirektor der Arzt für diese Art von Krankheit, an der Sie als Regisseur leiden?

Hartmann (lacht): Diese Ambivalenz hatte ich immer. Auf der Bühne wird Kunst nur dann interessant, wenn es einen Konflikt gibt. Und ein Drama ist ein unlösbarer Konflikt. Deswegen funktioniert das politische Theater unserer Väter nicht mehr. Die waren ja die Problemlöser, die wussten immer genau, wer böse und wer gut war, das ist ja auch das, was uns am meisten interessiert. Nur dass es eben genau nicht mehr geht.

STANDARD: Wie passt das zu Ihrem oft geäußerten Ziel, die Bühne und das Theater zu einem Brennpunkt der Diskussion zu machen?

Hartmann: Das entscheidende Wort dabei ist "Diskussion". Jan Lauwers "Marketplace" wäre da aktuell zu nennen, oder "Einige Nachrichten an das All" von Wolfram Lotz (geplante Premiere: 23. 11., Anm.), oder Ewald Palmetshofers "Räuber. Schuldengenital". Wir gehen nicht zu Hochhuth und beauftragen ihn, uns zu sagen, wie Macht und Machtmissbrauch entsteht und warum die Guten gut sind. Das machen wir nicht. Brauchen wir auch nicht. In "Faust 2" wird unsere Situation bestens erklärt.

STANDARD: Was unterscheidet Klassiker von zeitgenössischen Stücken?

Hartmann: Klassiker behandeln Themen, die urarchaisch unsere Verhaltensweisen prägen und immer wieder immer nach vorne kommen. Deshalb entstehen heute auch keine Klassiker, weil sich die Autoren an kleinen Symptomatiken abarbeiten. Goethe, Schiller, in gewisser Weise auch Grillparzer, natürlich Shakespeare: sie alle haben sich nicht einen marginalen Teil zur Beobachtung herausgepickt, sondern für sich in Anspruch genommen, dass sie die Welt verstehen dürfen.

STANDARD: Vielleicht hat das damit zu tun, dass sie sich Zeit genommen haben, um über die Welt nachzudenken? Wenn etwa der auch bei Ihnen gern (ur-)aufgeführte Roland Schimmelpfennig gleich mehrere Stücke pro Jahr schreibt, bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken.

Hartmann: (lacht). Das ist ja nun gerade ein für mich sehr wichtiger Theatermann. Da werden Sie nichts Negatives hören. Er hat etwas geschafft, was aus dem Angelsächsischen und den Beneluxländern bekannt ist, im deutschsprachigen Raum aber lange nicht gelang: Er war der Erste, der die vierte Wand erfolgreich aufgelöst und wirklich daran gearbeitet hat, das Theater wieder auf das zu konzentrieren, was es von anderen Kunstformen unterscheidet.

STANDARD: Nämlich was?

Hartmann: Wir sind Behauptungsraum. Wir sind Spielzeug für die Fantasie von Menschen. Im Moment rechtfertigen wir uns in einem Post-68er-Gestus immer noch mit politischen Thesen. Doch als Theater müssen wir eine Art von Wurzelsuche machen: Was ist an uns das Modernste, was sind wir, was die anderen nicht sind? Im Theater finden sich Menschen zusammen, um Behauptungen zu glauben. Es ist fast eine politische Aktion, dass man mit der Fantasie der Menschen wieder zu spielen beginnt. Dass sich der Mensch als freies Individuum begreift, hat damit zu tun, dass er sich selber setzen kann. Dafür aber braucht er Fantasie.

STANDARD: Ist Theater eine aussterbende Kunstform?

Hartmann: Der Anachronismus des Theaters ist seine Überlebenschance schlechthin. In Krisenzeiten rennen die einen in die Kirche, weil sie Trost suchen und eine Antwort wollen. Die anderen rennen ins Theater, weil sie Diskussion suchen. Natürlich glaube ich, dass wir gutes Theater machen, aber es ist die Zeit, die uns den Erfolg gerade in die Hände spielt.

Das ganze Gequatsche der 1990er-Jahr über die Theaterkrise, das ist vorbei. Theaterkrise gibt es nur dort, wo es formale Etiketten gibt. Das Allerschlimmste ist diese Theaterpolizei: Leute, die immer wissen, wie Theater auszusehen hat. Aber wenn bei mir Jan Lauwers und Andrea Breth inszenieren und sich gegenseitig gleichermaßen interessant finden und neugierig zuschauen: Dann finde ich Theater lebendig und spannend.

STANDARD: Wen meinen Sie mit Theaterpolizei: die Kritiker?

Hartmann: Ich finde Kritiker lebenswichtig für unsere Arbeit, sie halten den Diskurs am Rollen. Einigen Kritikern habe ich wirklich viel zu verdanken, auch solchen, die mich gnadenlos verrissen haben. Weil sie mich dazu gebracht haben, mich selber zu überprüfen. Ich habe viele älterwerdende Regisseure erlebt, denen die Kritiker ihre Gunst entzogen und die sich daraufhin zurückgezogen haben. Verbittert, alle. Sie fühlten sich zu wenig geliebt. Alle Regisseure fühlen sich zu wenig geliebt.

STANDARD: Sie auch?

Hartmann: Man kann nicht ans Theater gehen, wenn man nicht geliebt werden will. Jeder, der etwas anderes behauptet, lügt.

STANDARD: Sind Sie eitel?

Hartmann: Also ... Ich kann es mir, glaube ich, nicht wirklich leisten. wenn sie's optisch meinen. Aber ich würde es mir gern leisten können. So schön wie Herr Bachler in Öl gemalt schau ich nicht aus.

STANDARD: Sentimental?

Hartmann: Unbedingt! Meine Eltern hatten entschieden, dass ich Künstler werde, weil ich bei jedem Sonnenuntergang zu heulen anfing und Gedichte schrieb. Ich versuchte mehrmals, diesem Künstlerego zu entkommen und ein bürgerliches Leben zu leben. Ging aber nicht. Sentimentalität und Ironie sind wesentliche Bestandteile unserer Arbeit. Es gibt natürlich auch das Ausglitschen auf Sentimentalität. Das ist billig, hat keinen guten Geschmack.

STANDARD: Selbstironisch?

Hartmann: Ich bin der größte Spötter meiner selbst. Aber das ist ja einfach, man muss zulassen können, dass die anderen über einen spotten.

STANDARD: Ihrem Vorvorgänger Claus Peymann hat man viele Schließtage vorgeworfen, Ihnen, dass Sie die Schließtage mit allerlei Trallala füllen, etwa während der Fußball-EM mit einer Public-Viewing-Zone?

Hartmann: (lacht) Ich bitte Sie, diese Frage genau so stehen zu lassen, damit ich Sie Ihnen so beantworten kann: Das war bitteschön mein Vorgänger!

STANDARD: Ist ein Luxusdampfer wie die Burg in Zeiten der Wirtschaftskrisen und Massenentlassungen zeitgemäß?

Hartmann: Luxusdampfer ist definitiv ein falsches Bild. Ich würde gern das Geld, das der Staat für Kunst ausgibt, vergleichen mit der Summe, die etwa für Grünflächenpflege oder Müllbeseitigung aufgewendet wird.

STANDARD: Sie wollen Theater mit Müllabfuhr vergleichen?

Hartmann: Ja, weil wir beide dringend brauchen und insofern, als man sagt: Was sind eigentlich 0,2 Prozent für die Kultur? Aber selbst wenn man uns alles wegnimmt oder die Basisabgeltung nicht an die Lohnsteigerung anpasst: Ich mache Theater auch in der Garage. Ich werde immer Theater machen, egal, mit welchen Mitteln. Und auf Jammern hab ich keine Lust. Jammern stumpft nur ab.

Aber wir haben einen anderen Auftrag, der kostet das Geld, was es kostet. Und mit jeder Indexanpassung ein bisschen mehr. Sie müssen also die Frage an die Politik und an unser Publikum richten, ob und wie wir unserem Auftrag in Zukunft nachkommen sollen.

STANDARD: Angeblich ist Wien für Burgtheaterdirektoren ein besonders rutschiges Pflaster. Stimmt das?

Hartmann: Ich bin noch nicht ausgerutscht, wurde aber so eindringlich davor gewarnt, dass ich immer noch auf der Hut bin. So schlecht, wie man mir Österreich im Vorfeld gemacht hat, wurde es nie. In der Schweiz wird einem mit klarem Rütlischwur-Blick entgegengekommen, aber dann ist alles anders als vereinbart, nichts hat Bestand.

In Österreich ist das nicht so. Seitens der Politik haben weder Frau Fekter noch Frau Schmied ihre Zusagen je gebrochen. Aber wenn es aber einmal soweit ist und sie zuschlägt, die Klapperschlange Österreich, werde ich Sie umgehend informieren. (Andrea Schurian, Langfassung, DER STANDARD, 13./14.10.2012)