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Kinder zu mündigen Menschen erziehen - ohne erhobenen Zeigefinger.

Foto: APA/dpa/Patrick Seeger

"Wir schimpfen nicht, wir sprechen lieber", steht in bunten Lettern an der Tür der 2B. Und direkt darunter: "Wir hören einander zu."

Klingt gut, finde ich.

Und klappt auch, findet die Lehrerin. Zumindest im Unterricht. 

Und wenn die Kinder unbeaufsichtigt sind, am Nachmittag?

Gute Frage, die unbeantwortet bleibt.

Jedenfalls, wir sind uns einig: Von Erfolg in der Erziehung lässt sich erst dann sprechen, wenn die Kinder keinen erhobenen Zeigefinger brauchen, um Achtung vor dem anderen zu leben.

Mir fällt Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) ein: "Ich vervollkommne mich selbst, wenn ich mir das, was ich soll, zum Gesetz dessen mache, was ich will."

Bleibt zu fragen, wie das geht. 

Ich suche und betrete mit Pestalozzis Bild im Kopf eine andere Klasse.

Die Lehrerin sitzt mit den SchülerInnen im Sesselkreis. "Kinder, überlegen wir mal, was wir zum Wohlfühlen in der Klasse brauchen."

"Nicht schimpfen, nicht schlagen", meinen manche. 

"Warum denn nicht? Wär' doch ganz witzig. Und wem von uns ist nicht manchmal danach, einfach so draufloszuschimpfen. Ich kenn' das auch, bin nicht frei von Fehlern. Wann hat jeder von uns schon mal geschimpft? Ist selbst beschimpft worden? Spür hin, was macht das mit dir, was macht das mit uns? Fühlt sich nicht gut an, tut vielleicht sogar weh?"

Ergo: Wenn wir wollen, dass es uns gut geht, sollten wir versuchen, nicht zu schimpfen.

Vom Sollen zum Wollen - sprechen, spüren, verstehen, Vereinbarungen treffen.

Und das Zuhören? Warum ist das wichtig?

"Kommt, wir machen ein Spiel. Wir setzen uns auf den Boden, und dann erzählt ihr den anderen etwas Wichtiges. Etwas, über das ihr euch letztens besonders gefreut habt. Oder geärgert. Nach fünf Minuten machen wir Stopp."

"Wie war das für euch? Wer hat vom anderen etwas mitbekommen? Wer hat sich gehört gefühlt?"

Keiner?

"Dann versuchen wir's doch anders. Jeder erzählt, einer nach dem anderen. Und wir, die anderen, wir hören einfach nur zu. Alles ist wichtig. Jeder ist willkommen mit dem, was ihm auf dem Herzen liegt."

Und dann: Es tut gut, gehört zu werden. Es tut gut, sich einzulassen auf den anderen. Spürst du den Sinn?

Vom Sollen zum Wollen - sprechen, spüren, verstehen, Vereinbarungen treffen.

Damit wir morgen mit mündigen Menschen zu tun haben. (Andrea Vanek-Gullner, derStandard.at, 15.10.1012)