Bild nicht mehr verfügbar.

Kurt Wüthrich bei einem Vortrag im Jahr 2009.

Foto: APA/EPA/Cereijido

Wien - Nicht mögliche Anwendungen in der Medizin, sondern der Wunsch, biologische Prozesse besser zu verstehen - dies war ihre Motivation: Anlässlich des 7. Wiener Nobelpreisträgerseminars, das derzeit in Wien abläuft, betonten die australische Molekularbiologin Elizabeth Blackburn (Medizin-Nobelpreis 2009) und ihr Kollege Thomas Steitz (Chemie-Nobelpreis 2009) bei einem Hintergrundgespräch den Wert der Grundlagenforschung. In Zukunft werde es speziell darauf ankommen, den Ablauf und das Funktionieren ganzer biologischer Prozesse und sogar von Organismen aufzuklären.

"Ich war einfach damit beschäftigt, Werkzeuge zu finden, um so große Moleküle wie die Ribosomen in ihrer Struktur darstellen zu können", sagte Steitz, der seit 1970 an der Yale University in den USA lehrt. Dem 1940 geborenen Amerikaner wurde der Chemie-Nobelpreis gemeinsam mit Venkatraman Ramakrishnan und Ada Yonath zuerkannt. Den wissenschaftlichen Arbeiten war es zu verdanken, dass man beispielsweise die genaue Gestalt der großen Untereinheit der Ribosomen-Moleküle klären konnte.

Natürlich könne das auch für die Medizin wichtig sein, betonte Steitz: "50 Prozent der Antibiotika binden an den Ribosomen." Die Entwicklung von resistenten Keimen beruhe oft auf einer verminderten Bindung der Substanzen an den Protein-Produzenten der Bakterien. Aber die Grundlagenforschung sei eben zunächst einmal am Verstehen interessiert. Die Zukunft seines Fachs, so der US-Wissenschafter: "Wir können Proteine und ihre Untereinheiten schon sehr gut darstellen. Ich erwarte mir die größten Fortschritte mit Techniken, mit denen wir von den einzelnen Bausteinen zu ihrem Zusammenbau bis hin zur Zelle quasi einen 'Film' dieser Mechanismen produzieren können."

Neugierde als Triebfeder

Elizabeth Blackburn, die als gebürtige Australierin seit 1990 an der University of California in San Francisco tätig ist und den Medizin-Nobelpreis 2009 gemeinsam mit Carol Greider und Jack Szostak für die Erforschung und Funktionsaufklärung der Endkappen der Chromosomen (Telomere) und des sie aufbauenden Telomerase-Enzyms erhielt, verwies ebenfalls auf die Neugierde als Triebfeder der Wissenschaft: "Was ist da am Ende der Chromosomen? Und wie werden diese Telomere aufrechterhalten?"

Natürlich hätten die Forschungen mögliche Auswirkungen, speziell für die Aufklärung von Alterungsprozessen und Krankheiten, die mit höherem Alter häufiger werden. Doch sie wisse noch ganz genau, wie sie 1976 im Labor plötzlich das starke Signal für den Aufbau der Telomere vor sich sah. Da hätte sie plötzlich erkannt, dass sie etwas gänzlich Neues entdeckt hatte. Die Abnahme der Stärke der Telomere an den Chromosomen ist eine Funktion des Alterns. Doch an einen "Jungbrunnen" als Ziel denkt Elizabeth Blackburn nicht: "Es geht weniger um Immortalität als um Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Krebs, die damit zu tun haben dürften."

Nach dem Preis

Wesentlich verändert hat der Nobelpreis - das erklärten die beiden Wissenschafter - ihre Arbeit nicht. Steitz: "Es ist vor allem eine Anerkennung. (...) Und, ich verbringe jetzt mehr Zeit mit den E-Mails, über die ich Einladungen absage." Elizabeth Blackburn wiederum sieht Querverbindungen ihrer Forschungen mit Gesellschaft und Sozialem: "Man weiß, dass Missbrauch von Kindern oder Gewalt gegen Frauen deren Telomer-Funktion in den Zellen schädigt." Hier spanne sich der Bogen von der Grundlagenforschung im Kleinen zum Verständnis ganzer Organismen.

Steitz und Elizabeth Blackburn betonten, dass Frauen in der Wissenschaft weiterhin benachteiligt seien. Die sonst so progressiven USA wären in dieser Hinsicht im Vergleich zu manchen europäischen Institutionen hintennach.

Im Rahmen des Nobelpreisträgerseminars - sechs Laureaten nehmen daran teil - gibt es am Mittwoch Vorträge und Diskussionen und am Donnerstag eine Festveranstaltung (Wiener Vorlesung) im Rathaus. (APA, 17.10.2012)