Jerusalem/Teheran/Wien - Die Ansprache von Premier Benjamin Netanjahu, in der er Neuwahlen in Israel ankündigte, sei retrospektiv bereits seine zweite Wahlrede gewesen, kommentierte am Mittwoch Anshel Pfeffer in Haaretz online: Die erste wäre demnach die "Bomben"-Rede vor der Uno-Vollversammlung vor zwei Wochen gewesen, in der Netanjahu, an den Iran gerichtet, in eine comicstripartige Zeichnung einer Nuklearwaffe seine "rote Linie" hineinmalte. Denn obwohl Netanjahu das Aus für seine Regierung verkündet hat, weil die knappe Mehrheit nicht ausreicht, um ein aus seiner Sicht vernünftiges Budget zu verabschieden, rechnen die Medien damit, dass das iranische Atomprogramm Hauptthema im Wahlkampf sein wird.

Damit, dass Netanjahu vor den Wahlen einen Angriff auf Irans Atomanlagen befiehlt - wie Menachem Begin 1981 auf Osirak bei Bagdad -, ist nicht zu rechnen: Die beiden Einsätze sind in Komplexität und Tragweite nicht zu vergleichen. Netanjahu hat auch bereits in seiner Uno-Rede einen Zeitpunkt für einen möglichen - oder aus israelischer Sicht nötig werdenden - Einsatz auf Sommer 2013 verschoben.

Halt vor Netanjahus "roter Linie"

Eine technische Erklärung dafür wurde in den vergangenen Tagen nachgeliefert, als laut israelischen Medien ein Bericht bestätigte, dass der Iran aus einem Teil seines auf 20 Prozent angereicherten Urans Brennstäbe für seinen Forschungsreaktor in Teheran erzeugt, wo Isotope für medizinische Zwecke produziert werden. Das heißt: Der Iran bleibt mit seinem Bestand an 20-Prozent-Uran unter der Quantität, die er für die Produktion von genügend hoch angereicherten Uran für eine Bombe brauchte.

Das ist zwar nichts substanziell Neues - es steht im letzten Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) -, aber offenbar akzeptieren auch die Israelis derzeit, was unabhängige Experten sagen: dass der Iran im Moment gewisse Schwellen nicht überschreitet. So nützt er auch seine Anreicherungskapazität nicht voll aus. Eine Lösung des Atomstreits ist derzeit trotzdem nicht in Sicht: Einen iranischen Vorschlag eines Neun-Stufen-Plans, der in einem parallelen Prozess die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran und die Aufgabe der iranischen 20-Prozent-Anreicherung vorsah, lehnen die USA ab. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 11.10.2012)