Crazy Guides zeigen Touristen Nowa Huta, ...

Foto: Stadtkino

... Laubhüttenfest über den Dächern von Wien.

Foto: Polyfilm

Wien - Ein Brautpaar posiert für einen Fotografen. Der Vorgang ist nicht ungewöhnlich, das Setting schon. Das Paar stakst durchs ausgehöhlte Innere einer Industrieruine. Der Fotograf liebt den Kontrast: "Sie sitzen in den Trümmern und küssen sich."

Der Dokumentarfilm Richtung Nowa Huta sammelt Eindrücke im Stadtraum. Gleich zu Beginn wird der Fokus auf Momente der Aneignung, der Umwertung oder Zweckentfremdung gelegt. Später wird sich das in jenen Erzählungen spiegeln, die beschreiben, wie die Boulevards der 1949 errichteten sozialistischen Musterstadt in den 80er-Jahren den strategischen Erfordernissen streikender Arbeiter entgegenkamen.

Die Vergangenheit von Nowa Huta, das damals eine Basis der polnischen Solidarnosc war, ist Thema in den improvisierten Stadtführungen der sogenannten Crazy Guides, die der Film immer wieder begleitet. Auch in Erinnerungen von Zeitzeugen und in Form materieller Spuren ist sie gegenwärtig - und sie ist Teil der Biografie des Filmemachers, der 1991 von dort weggezogen ist, um in Wien Medienkunst zu studieren.

Seither hat Dariusz Kowalski vor allem experimentelle Videos und Installationen veröffentlicht. Sein Kinodebüt, bei der Diagonale 2012 als bester Dokumentarfilm prämiert, zeichnet sich wie diese durch visuelle Klarheit aus. Die Kamera (Martin Putz) ist tendenziell unbewegt, die Einstellungen sind lang und großformatig - der Raum um die jeweiligen Protagonisten bleibt neben diesen markant im Bild. Die Montage (Dieter Pichler) setzt kleine dynamisierende Akzente.

Pichler zeichnet auch für den Schnitt von Nr 7 verantwortlich, einer weiteren heimischen Dokumentarfilmproduktion, die jetzt ins Kino kommt. Der Kameramann und Regisseur Michael Schindegger (Dacia Express) unternimmt darin ebenfalls eine persönlich gefärbte Erkundungsreise. Allerdings findet diese in der unmittelbaren Umgebung des Filmemachers statt. Schindegger, Jahrgang 1981, plant aus der elterlichen Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk auszuziehen. Er hat dort sein gesamtes bisheriges Leben verbracht. Just während des langsamen Abschieds von diesem Ort erwacht das Interesse an den anderen Menschen, die in dem Gründerzeithaus wohnen.

Religiöse Rituale

Schindegger klingelt also an Wohnungstüren. Die charakteristischen Holzdoppelflügel mit den schmiedeeisernen Fenstergittern werden ihm nicht immer geöffnet. Er lernt seine jüdischen Nachbarn, deren religiöse Riten kennen. Er wird über die Vorzüge einer arrangierten Ehe informiert (seine eigenen Hochzeitsvorbereitungen mit den zukünftigen rumänischen Schwiegereltern sind ein wiederkehrender Erzählstrang im Film).

Er verfolgt Unterhaltungen in vielen Sprachen, trifft sich bald regelmäßig mit einem Ukrainer, mit dem sich ein deutsch-russisches Vokabelaustauschprojekt entwickelt. Oder er entdeckt, dass sich nicht alle Väter und Söhne so nahe stehen, wie er das aus der eigenen Familie kennt.

Der Regisseur steht dabei fast immer selbst hinter der Kamera. Manchmal wirkt er in dieser Anordnung ein bisschen festgezurrt. Dafür scheinen seine Gegenüber sich dann aber besonders zu bemühen, das Gespräch nicht abreißen zu lassen, und geben lieber noch ein Stückchen mehr von sich preis. An anderer Stelle genügt der zarte Wink eines Nachbarn, und der filmende Besucher zieht sich diskret zurück.

Was man in Nr 7 aus der Nähe beobachten kann, bleibt ganz alltäglich und unspektakulär. Es ist aber gerade deshalb so interessant, weil man es im eigenen Stiegenhaus womöglich lang schon übersieht. Umgekehrt schafft es Richtung Nowa Huta, einen in eine fremde Stadt mitzunehmen und dabei ein produktives Gefühl der Distanz aufrechtzuerhalten. Man kommt auf eine gute Art nie richtig an in Nowa Huta, aber die Richtung stimmt. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 10.10.2012)