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Im Parlament scheiterte der designierte Premier, vor dem Parlament demonstrierten Menschen aus Bani Walid, das von den Milizen mehrerer anderer Städte belagert wird.

Foto: Reuters/Zitouny

Der designierte Premier Mustafa Abu Shagur ist an der Regierungsbildung gescheitert.

 

Tripolis/Wien - Zur prekären Sicherheitslage kommt nun auch ein politisches Vakuum: Anstatt das Kabinett des designierten Premiers Mustafa Abu Shagur anzunehmen, schickte das Parlament diesen am Sonntagabend per Misstrauensvotum in die Wüste. Abu Shagur, als Kompromisskandidat vom Parlament gewählt, war bereits am Mittwoch mit einer Ministerliste durchgefallen, und er schaffte es auch am Sonntag, dem letzten Tag der Frist für die Regierungsbildung, nicht, die Parlamentarier zu befriedigen.

Der Vorwurf gegen Abu Shagurs Kabinettsvorschlag lautete: mangelnde Repräsentanz - und damit ist in Libyen immer auch die geografische Verteilung gemeint. Die Sitzung vergangenen Mittwoch etwa musste abgebrochen werden, als Milizionäre aus Zawiya das Parlament stürmten, um dagegen zu protestieren, dass ihre Stadt kein Ministeramt eingeheimst hatte. Aber Abu Shagur scheiterte vor allem, weil er es nicht schaffte, sich mit Wahlsieger Mahmud Jibril (NFA) auf eine Koalition zu einigen.

Nun muss das Parlament einen neuen Premier designieren. Das könnte langwierig werden und hängt an einer Einigung von Jibril und der Muslimbruderpartei JCP. So lange bleibt Libyen ohne wirkliche Exekutive, die Übergangsregierung von Abderrahim al-Kib ist zwar noch da, aber nicht mehr operativ. Die Rolle des Staatsoberhaupts hat kraft seines Amtes Parlamentspräsident Mohammed Magarief inne.

Die politische Krise kommt in einem Moment, wo in Washington ein Militärschlag gegen die islamistische Miliz Ansar al-Sharia diskutiert wird, die vor vier Wochen in Bengasi das US-Konsulat überfallen und den US-Botschafter in Libyen, Chris Stevens, gemeinsam mit anderen Personen getötet hatte. Dazu könnte es kommen, weil die libyschen Sicherheitskräfte selbst bisher kaum einen Fortschritt bei der Ausforschung und Ergreifung der Anführer gemacht haben. Wie die New York Times schreibt, gibt es jedoch den Einwand, dass ein solcher Angriff "bei der einzigen arabischen Bevölkerung, die Washington gegenüber positiv gestimmt ist", eine Gegenreaktion hervorrufen könnte.

Dazu kommt noch die Krise in Bani Walid: Sicherheitskräfte - de facto Milizen aus Misrata und anderen Städten - belagern die im Bezirk Misrata gelegene ehemalige Gaddafi-Hochburg, der bis 10. Oktober eine Frist gesetzt wurde, die mutmaßlichen Mörder von Omran Shaaban herauszugeben. Danach soll sie angegriffen werden. Die Stadt wurde total abgeriegelt, auch Lebensmittel, Benzin und Medikamente kämen nicht hinein, behaupteten Demonstranten, die am Sonntag vor dem Parlament in Tripolis ein Ende der Belagerung forderten.

Rache für toten Gaddafi-Jäger

Omran Shaaban war ein 22-Jähriger aus Misrata, der bei der Festnahme von Muammar al-Gaddafi - der gleich darauf umgebracht wurde - eine Schlüsselrolle gespielt haben soll. Shabaan wurde im Juli mutmaßlich von Gaddafi-Anhängern entführt, in Bani Walid festgehalten und nach 50 Tagen auf Vermittlung Magariefs mit Folterspuren und einer Schussverletzung wieder freigelassen, an der er am 25. September in einem Pariser Spital starb.

In Misrata verlangt man Rache für Omran Shaaban - und an Bani Walid, das immer wieder gegen die neue Ordnung aufmuckt, soll ein Exempel statuiert werden. Die Problematik dabei ist, dass die Grenzen zwischen Sicherheitskräften unter der Kontrolle der Staatsmacht und den Milizen von Misrata im besten Fall fließend sind. In Bani Walid argumentiert man, dass die Ausgelieferten in dieser Stimmung ebenso wenig Chancen auf einen Prozess hätten wie Gaddafi, sondern ebenfalls sofort umgebracht würden. (Gudrun Harrer /DER STANDARD, 9.10.2012)