Enttäuschung und Frust brauchen Empfänger. Nur was, wenn niemand da ist? Der Frust schwebt immer noch über dem Fußball-Alltag - obwohl das bittere Ausscheiden bei der Europameisterschaft gegen Italien mittlerweile über drei Monate zurückliegt. Das Problem damals und heute: Man weiß nicht so richtig, auf wen man sauer sein soll. Die exzellente Arbeit von Trainer Löw ist ja nicht einfach wegzuwischen, genauso wenig wie die spektakulären Leistungen der Spieler. Der Schiedsrichter war auch okay und die Italiener nicht unfair, sondern schlichtweg cleverer. Entsprechend verzweifelt verlief die Suche nach DEM Versagens-Grund.

Beleidigter Löw

Noch mal ein Versuch: Am vergangenen Wochenende gab Bayern-Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger der "Süddeutschen Zeitung" ein langes Interview. Darin sprach er auch über die starke Form und den Mannschaftsgeist der Münchener. Bei jedem Tor spränge die komplette Ersatzbank auf, sagte Schweinsteiger, um dann einen bemerkenswerten Vergleich zu ziehen: "Das ist vielleicht ein kleiner Unterschied zur Nationalmannschaft bei der EM. Da sind nicht immer alle gesprungen." Das war das Meinungs-Feuerwerk eines so kontrollierten und höflichen Spielers.

Ich war überrascht, am Zusammenhalt im DFB-Team hatte ich bislang nicht gezweifelt. Und ich habe mich über diese Sätze gefreut. Ein Zeichen von Frust und ein Zeichen des Hinterfragens. Umso enttäuschter war ich von der Reaktion des Bundestrainers. "Ich weiß nicht, welche Botschaften er aussenden wollte. Ich werde das Gespräch mit ihm suchen, um zu erkunden, wie er das gemeint hat", meckerte der sichtlich beleidigte Joachim Löw auf der Nationalmannschafts-Pressekonferenz. Wie muss man sich dieses Gespräch vorstellen? Da sitzt der weise Löw einem seiner verdientesten und erfahrensten Spieler dann im stillen Räumchen gegenüber und erzählt ihm, dass er in Zukunft seine Meinung nicht mehr äußern soll?

Unterwürfig, glatt, meinungslos

Joachim Löw will ganz offensichtlich ein Team voll ecken- und kantenloser Profis. Das weiß man nicht erst seit dieser Woche, wurde aber durch die Schweinsteiger-Maßregelung noch mal verdeutlicht. Spieler wie Tim Wiese (zugegeben sehr beschränkt, aber eben polarisierend) sind ihm ein Dorn im Auge. Löws Männer sollen so sein wie Neuer, Bender oder Kroos: unterwürfig, glatt, meinungslos.

Ja ja, die alte Stammtisch-Diskussion um die Siegertypen. Doch ich halte sie für angemessen. Und ich verstehe nicht, warum Löw jeden Streit, jede Spannung, jede Meinung im Keim erstickt, statt die Energie zu nutzen. Wenn Bastian Schweinsteiger ob des Ausscheidens frustriert ist, nach Gründen sucht, einen findet und den dann auch kommuniziert - ist das nachahmenswert.

Weil er damit einer der ganz wenigen ist, die überhaupt mal eine Regung zeigen. Beim letzten Erfolg der Nationalmannschaft - EM 1996 in England - hatte Deutschland nicht die besten Akteure, aber Typen wie Kohler, Basler und Sammer in den Reihen. Die alle einen Anspruch auf Wertschätzung hatten, den gerne über die Medien verbreiteten, sich gegenseitig provozierten und letztendlich mehr erreichten. (Lukas Hermsmeier, derStandard.at, 8.10.2012)