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Bidsina Iwanishvili, Milliardär, Politiker.

Foto: EPA/IGOR KOVALENKO

Sonntagabend hat Bidsina Iwanischwili erst einmal eine ordentliche Supra in seiner Glasburg über Tiflis hingelegt, eine georgische Tafel, wo sich die Tische zu biegen haben und ein Trinkspruchleiter die ganze Veranstaltung in unerbittlicher Regie bis zur ihrem komatösen Ende führt. Wobei der Milliardär und Wahlsieger selbst sehr wahrscheinlich den Versuchungen von Wodka und georgischem Chacha ähnlich diszipliniert gegenübersteht wie der russische Präsident Wladimir Putin. Es war das Ende einer bemerkenswerten Woche in der Kaukasusrepublik, die bekannt ist für ihr politisches Drama. Wenige haben wirklich damit gerechnet, dass Iwanischwilis Koalition Georgischer Traum die Parlamentswahlen leicht gewinnt und Staatspräsident Michail Saakaschwili, ohne lang herum zu tun, die Niederlage seiner Partei einräumt.

Aber die nächsten Hürden beim ersten demokratischen Machtwechsel in Georgien sind in Sicht. Iwanischwilis Reisepass ist schon einmal ein Problem. Molly Corso ist in einem Beitrag für eurasianet  der Frage nachgegangen, wie die etwas komplexe staatsbürgerschaftliche Situation des Wahlsiegers seine Wahl zum Premierminister verhindern könnte. Bevor er aus dem diskreten Reich des Wirtschaftens und Wohltaten spenden mit einem Mal auf die politische Bühne trat, hatte Bidsina Iwanischwili - wir erinnern uns -, wie es sich für einen Oligarchen in diesem Teil der Welt ziemt, nicht weniger als drei Staatsbürgerschaften: seine georgische, die russische (weil er in Moskau arbeitete und dort sein Vermögen machte), die französische (weil man ja nie weiß, was alles passieren kann). Die georgische nahm ihm die Regierung in Tiflis vor einem Jahr ab, als er seine Oppositionspartei gründete; die russische gab Iwanischwili selbst gleich ab, um nicht ein leichtes Ziel für eine PR-Kampagne als Agent Moskaus abzugeben. Der französische Pass ist ihm geblieben. Und so kommt es, dass sich ein georgischer Franzose anschickt, Ende des Monats im neuen Parlament als Premier gewählt zu werden.

Rechtlich ist das wacklig. Die "Lex Iwanischwili", die sich das georgische Justizministerium ausgedacht hat, um die Kritik an der linkischen Aberkennung der Staatsbürgerschaft verstummen zu lassen, legt fest: Ein EU-Bürger, der in Georgien geboren ist und die letzten fünf Jahre dort lebte, hat das aktive und passive Wahlrecht in Georgien. Dass er auch für das Amt des Regierungschefs gewählt werden kann, steht so nicht im Gesetz vom Mai dieses Jahres. Iwanischwili hat die juristische Sondereinlage ohnehin nicht akzeptiert und ging vergangenen Montag auch nicht wählen.

Politisch aber sieht die Sache klar aus: Dass Iwanischwili Georgier und nicht Franzose ist, leuchtet jedem im Land ein; ebenso, dass Saakaschwili nun nicht "rechtliche Bedenken" anmelden kann und den Wahlsieger doch nicht für das Amt des Premierministers nominiert - Straßenproteste, die Saakaschwili tatsächlich zum Rücktritt zwängen, wären wohl die Folge. Denkbar aber ist, dass Iwanischwilis Wahl zum Premier im Nachhinein gerichtlich angefochten wird. Es ist eine der "Zeitbomben“, die auf dem Weg der neuen Regierung bis zum Oktober nächsten Jahres liegen, wenn der nächste Präsident gewählt wird und danach die Verfassungsänderungen in Kraft treten, die aus Georgien eine parlamentarische Demokratie machen.

Die Spekulationen in Tiflis kreisen in diesen Tagen ebenso um den amtierenden Präsidenten. Seine Anerkennung des Wahlsiegs der Opposition gilt als geschickter Schachzug, der mit einem Schlag sein internationales Ansehen wieder erhöhte und die Basis für eine Rückkehr in die georgische Politik einige Zeit nach 2013 legte. Dass Michail Saakaschwili aber eine Krise im Oppositionsbündnis abwartet oder heraufbeschwört und mit einem frühzeitigen Rücktritt neue Präsidentenwahlen erzwingt, ist ebenfalls ein Szenario, das manche für plausibel halten.

Der Versuch eines Amtsenthebungsverfahren durch das Parlament, weil die Regierung Iwanischwili sich möglicherweise nicht imstande sieht, mit dem Staatschef zusammenzuarbeiten, ist wiederum ein anderes Risiko für die Stabilität im Land in den nächsten Monaten. Iwanischwili hatte im vergangenen Jahr öffentlich ein Impeachment von Saakaschwili gleich nach dem Wahlsieg angekündigt. Seit er den Sieg in der Tasche hat, ist Iwanischwili sehr viel zurückhaltender. Seinen Ratschlag an Saakaschwili, besser gleich zurückzutreten, hat er schnell wieder korrigiert. Für ein erfolgreiches Amtsenthebungsverfahren, Verfassungsänderungen oder ein Veto gegen Entscheidungen des Präsidenten fehlt der Koalition allerdings die Mehrheit. Im neuen Parlament wird sie 83 der 150 Sitze haben. Genug zum Regieren, nicht genug, um allein zu bestimmen.

Iwanischwilis Sechs-Parteien-Koalition ist selbst schon ein Risikofaktor. Der designierte Regierungschef kündigte bereits an, dass sich die Koalition im Parlament mit wenigstens drei Fraktionen konstituieren wird - Irakli Alasanias Partei Freie Demokraten, die Republikaner von Davit Usupaschwili und, als mit Abstand stärkste Kraft, Iwanischwilis Partei Georgischer Traum. Der politische Bogen dieser Koalition reicht weit von Krypto-Nationalisten wie Swiad Dzidziguri über US-orientierten jungen Liberalen wie Alasania zu unerfahrenen Neueinsteigern in der Politik wie dem Fußballer Kakha Kaladse, der die Liste des Georgischen Traum anführt. Am Montag soll die Kabinettsliste jedenfalls schon stehen. Bleibt noch eine letzte Unwägbarkeit: das neue Parlamentsgebäude. Staatspräsident und Landerbauer Saakaschwili hat ein enormes kuppelförmiges Gebäude aus - natürlich - Glas in die Stadt Kutaisi setzen lassen. Wirklich fertig ist es immer noch nicht. (Markus Bey, derStandard.at, 7.10.2012)